Peter Schallenberg | 21. Juli 2022
Der Unterschied von Kirche und Demokratie
Eigentlich sollte ich auf diese Frage antworten wie einst Radio Eriwan in den berühmten politischen Witzen der kommunistischen Sowjetunion: Im Prinzip ja, aber … Damit war das grundsätzliche Ja schnell zerschossen. Oder natürlich umgekehrt: Im Prinzip nein, aber …
Denn „demokratisch“ ist ja ein politischer Begriff, ursprünglich aus der griechischen Philosophie kommend, und meint: Herrschaft des Volkes (wobei Volk bei den alten Griechen die freien Männer meinte). Später entwickelte sich in England daraus die Westminster-Demokratie: Alle Gewalt und Herrschaft geht nicht mehr vom Gottesgnadentum und vom König aus, sondern vom Parlament; das Volk bestimmt selbst über sich durch parlamentarische Repräsentanten, die gewählt werden.
Endgültig nach der amerikanischen Unabhängigkeit 1776 und der Französischen Revolution von 1789 entfaltet sich diese Form der parlamentarischen Volksherrschaft und Mitbestimmung in Form der Gewaltenteilung: Machtkontrolle und Machtverteilung ist damit realisiert, denn das Volk bestimmt über sich selbst und gehorcht niemandem, außer sich selbst und der eigenen Mehrheit. Mit einer Ausnahme, wie besonders deutlich wird im deutschen Grundgesetz: Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) und die nachfolgenden Grundrechtsartikel sind mit Ewigkeitsgarantie versehen und können von keiner parlamentarischen Mehrheit abgeschafft werden, genau aus der Erfahrung heraus, dass Adolf Hitler und die NSdAP mit Hilfe von Wahlen an die menschenverachtende Macht gekommen war.
In dieser Weise bildet Artikel 1 gleichsam den papierenen Monarchen, um dessentwillen der gesamte Staat und die Herrschaft und Machtausübung besteht: Um der Würde des Menschen Willen, nicht zuerst um des Wohlergehens der Deutschen willen… Das ist der Grundstein unseres Staates.
Hier bietet sich der Vergleich mit der Kirche nach katholischem Verständnis an: Die Kirche ist gebaut auf den Grundstein Jesus Christus, der in seinem irdischen Leben vor 2000 Jahren die Liebe des Vaters geoffenbart hat, in Worten und Werken, und der diese Offenbarung der Liebe des Vaters weitergehen läßt in der Zeit der Kirche, gebaut auf den Grundstein des Petrus und seines Glaubens an Christus (Mt 16,18: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen!“) und der Apostel als Zeugen seines öffentlichen Wirkens.
Genau deswegen heißt es im Glaubensbekenntnis: „Wir glauben an die apostolische Kirche“ – nicht an die Kirche als religiösen Verein, der von Menschen ausgedacht wurde. Wir sind nicht, wie es im Neuen Testament heißt, selbsterfundenen Geschichten nachgelaufen, sondern wir laufen diesem Jesus nach, der den Geist der Liebe zwischen ihm und dem Vater seiner Kirche gegeben hat vor seiner Himmelfahrt: Was Ihr binden werdet, ist gebunden; was Ihr lösen werdet, ist gelöst! Und dieser Heilige Geist wirkt zuerst und vor allem in den sieben Sakramenten.
Die Kirche besteht nach Lehre der frühen Kirche bis hin zu Augustinus wesentlich in den Sakramenten als Gabe und Geschenk der Gnade und Liebe Gottes. Nicht als Recht, anders als in der Demokratie mit ihren einklagbaren Menschenrechten: Vor Gott hat kein Mensch ein einklagbares Recht, es sei denn, Gott gäbe es ihm als Geschenk: als natürliches Recht (der Grundrechte im weltlichen Raum), als übernatürliches Recht (der göttlichen Liebe im kirchlichen Raum).
Die Kirche ist daher vom Wesen und Kern her nicht demokratisch, also nicht parlamentarisch, sondern apostolisch und hierarchisch (griechisch: „heiliger Anfang“), also den heiligen Anfang des Lebens und der Lehre Jesu mit den Aposteln weitergebend und treu bewahrend, immer in synodaler (nicht demokratischer) Art: beratend und zusammen betend, aufeinander hörend, die beste Meinung des Gesprächspartners heraushörend, und am Ende – entscheidet eben nach katholischer Lehre nicht die Mehrheit (oder die Theologen als Experten), sondern die Nachfolger der Apostel, die Bischöfe, unter Vorsitz und Leitung des Nachfolgers des Petrus, des Papstes. Damit die Lehre der Liebe des Vaters, die Jesus den Aposteln für die Zeit der Kirche anvertraut hat, möglichst unverfälscht und zugleich möglichst verständlich und attraktiv weitergegeben wird und möglichst alle Menschen zur Erkenntnis der Liebe des Vaters gelangen.
Denn das ist ja das einzige Ziel, und die Kirche mit ihren Sakramenten ist auf diesem Weg nur ein Instrument. Allerdings, so der katholische Glaube, das wichtigste und von Gott in Jesus Christus selbst erwähltes Instrument.
Und die Antwort von Radio Eriwan: Im Prinzip nein, aber? In weltlichen Dingen der Vermögensverwaltung und überhaupt aller finanzieller Dinge, auch in Fragen der Verwaltung und der Mitarbeiterbestimmung und des Arbeitsrechtes kann und soll die Kirche demokratisch sein. Aber im Raum der Sakramente (und der Priesterweihe zum Beispiel) gibt es keine bürgerlichen Rechte im eigentlichen Sinn und daher auch keine demokratische Abstimmung über Inhalte des Glaubens und über die Tradition.
Was freilich konkret zum Inhalt des Glaubens und der Tradition gehört, muss immer wieder neu synodal beraten werden – und am Ende vom Papst und den Bischöfen, nicht von demokratischer Mehrheit entschieden werden. Das übrigens ist nicht klerikal, sondern apostolisch!
Der Verfasser
Msgr. Prof. Dr. Peter Schallenberg ist Professor für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn, Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach sowie Konsultor am Dikasterium zur Förderung der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen in Rom.