Anna Karger-Kroll | 05.09.2022
Christliche Sozialethik als Anwältin für eine nachhaltige Digitalisierung
Überlegungen angesichts der Herausforderungen der ökologisch-sozialen Krise
Sicherlich eröffnen digitale Technologien viele Möglichkeiten, um den Herausforderungen der ökologisch-sozialen Krise zu begegnen. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, dass nicht alle smarten und grünen Technologien wirklich smart und grün sind. Denn spart es wirklich Strom ein, Haushaltsgeräte intelligent zu vernetzen? Hinterlässt der entstehende, zunehmende Datenverkehr nicht einen deutlich höheren ökologischen Fußabdruck? Und geht es uns bei den genannten digitalen Technologien wirklich um den Umwelt- und Klimaschutz? Oder doch eher um ein Mehr an Bequemlichkeit, vielleicht auch um ein Mehr an materiellen Wohlstand?
Bereits diese Fragestellungen deuten an, dass es eines moralischen Kompasses bedarf, damit „die nicht nachhaltigen Auswüchse einer ressourcenintensiven Digitalisierung vieler Lebens- und Wirtschaftsbereiche“[2] eingedämmt und positive ökologische Potentiale erschlossen werden können. Konkret stellt sich demnach die Frage, wie Digitalisierung in eine smarte und grüne Welt führen kann, „in der alle vom technologischen Fortschritt profitieren und wir zugleich schonender mit der Umwelt umgehen“[3], so Steffen Lange und Tilman Santarius, die die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung analysiert haben.
1. Christliche Sozialethik als Anwältin einer nachhaltigen Digitalisierung
Auf die Notwendigkeit solch eines moralischen Kompasses weist unter anderem die Autorengruppe um Irmela Colaco, Johanna Pohl und Lars-Arvid Brischke hin. Ihrer Ansicht nach fehlen
„Kriterien, Leitlinien und Rahmenbedingungen, welche die ‚Reboundeffekte‘ minimieren, die Datensouveränität der Anwender*innen garantieren und welche dazu führen, dass die Chancen der Digitalisierung zur Unterstützung umweltfreundlichen Verhaltens systematisch genutzt werden“[4].
Es bedarf also ethischer Leitlinien, an denen sich digitale Technologien orientieren können, um wirklich einen Beitrag für eine Nachhaltige Entwicklung leisten zu können. In diesem Kontext kann natürlich auf das Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ hingewiesen werden, welches einen normativen Kompass darlegt, der „neben der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Teilhabe auch Diversität und Gestaltungsfreiräume als grundlegende Bedingungen für ein Transformationsgeschehen“[5] berücksichtigt. Über diese normative Basis hinaus bedarf es jedoch auch konkreter ethischer Leitlinien, an denen sich digitale Technologien mit dem – vermeintlichen – Ziel der Nachhaltigkeit orientieren können. Hierfür gilt es, die beiden Megatrends – Digitalisierung und Nachhaltigkeit – zusammenzudenken und nicht je für sich zu betrachten.
Entsprechend steht auch in dem eben genannten Hauptgutachten: „Die beiden Megatrends ‚Nachhaltigkeit‘ und ‚Digitalisierung‘ haben sich in den letzten Jahrzehnten parallel und weitgehend unabhängig voneinander entwickelt und nur wenig systematische Abstimmung erfahren. Das wird u. a. daran deutlich, dass die Digitalisierung in der Agenda 2030 und den SDGs nicht als wesentlicher Faktor erscheint. Umgekehrt haben Digitalisierungsstrategien selten einen Nachhaltigkeitsbezug, unabhängig davon, ob es sich um Strategien großer Digitalkonzerne, Staaten, NRO oder der Wissenschaft handelt. Zwar werden digitale Technologien in allen Sektoren genutzt, um effektiver und effizienter zu werden; so sind z. B. erneuerbare Energiesysteme ohne Digitalisierung längst undenkbar. Eine Ausrichtung und Zielführung der Digitalisierung auf die Transformation zur Nachhaltigkeit ist aber allenfalls in Ansätzen zu erkennen.“[6]
Auch dieses Zitat verweist nochmals auf die Notwendigkeit eines moralischen Kompasses für eine nachhaltige Digitalisierung; auf die Notwendigkeit, konkret der Frage nachzugehen, welchen ethischen Leitlinien digitale Technologien folgen müssen, um zu einem Mehr an Nachhaltigkeit beizutragen.
Solch einen normativen Beitrag kann die christliche Sozialethik leisten. Schließlich fragt christliche Sozialethik verstanden als „Ethik der Gesellschaft“[7] „nach Möglichkeiten und Strategien, gesellschaftliche Prozesse, politische und ökonomische Entscheidungen auf das Ziel gesellschaftlicher Gerechtigkeit auszurichten. Das heißt v.a.: Ihr Nachdenken dient dem Ziel, ein Mehr an Gerechtigkeit, an Lebenschancen und personalen Entfaltungsmöglichkeiten für alle zu eröffnen.“[8]
So sieht es die christliche Sozialethik als ihre Aufgabe an, nach Kriterien zu fragen, wie gesellschaftliche Prozesse – wie die Digitalisierung – gestaltet werden müssen, damit ein gerechtes Miteinander auf dieser einen Welt ermöglicht wird. Konkret kommt der christlichen Sozialethik in dem Diskurs um eine nachhaltige Digitalisierung demnach folgende Funktionen zu:[9] Einerseits kann sie den Prozess der Digitalisierung vor der Leitperspektive einer Nachhaltigen Entwicklung kritisch begleiten, andererseits kann sie anhand bestimmter von ihr formulierter, ethischer Leitlinien auf Chancen und Risiken digitaler Technologien mit dem – vermeintlichen – Ziel einer Nachhaltigen Entwicklung hinweisen und somit einen Beitrag zur Wahrnehmung und Deutung möglicher Ambivalenzen leisten. Da jeder Fortschritt zugleich neue Risiken erzeugt, bedarf es eben zudem einer kritischen Auseinandersetzung mit der „Dialektik von Fortschritt und Risiko“[10].
Für den hiesigen Kontext bedeutet dies, den technischen Fortschritt durch die Digitalisierung grundsätzlich zu bejahen, ihn auch als Entlastung wahrzunehmen. Jedoch bedeutet es auch, konsequent nach seinem Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung zu fragen, damit er eine Umwelt-ent- und keine -belastung darstellt.[11] So kann eine christliche Sozialethik schließlich als Anwältin für eine nachhaltige Digitalisierung fungieren.
2. Ein integratives Verständnis von Nachhaltigkeit[12]
Um diese Funktion übernehmen zu können, bedarf es zunächst einer grundlegenden Auseinandersetzung mit dem Begriff der Nachhaltigkeit. Dieser darf nicht nur auf ökologische Aspekte reduziert werden; bereits die eingangs formulierten Fragestellungen deuten darauf hin, dass auch ökonomische, politische oder gesellschaftliche Aspekte mitberücksichtigt werden müssen. Denn nur so lässt sich wirklich eine Beitrag für eine Nachhaltige Entwicklung leisten. Nachhaltigkeit umfasst demnach mehr als Umwelt- und Naturschutz.[13]
Für solch ein integratives Verständnis von Nachhaltigkeit kann die christliche Sozialethik auf ihr Konzept der Nachhaltigkeit zurückgreifen.[14] Dieses Prinzip impliziert folgende drei normative Grundelemente:
(1) Die Natur bzw. die natürlichen Lebensbedingungen des Menschen werden als sozialethisch relevant angesehen. Es geht also nicht nur um Umweltschäden, von denen die gegenwärtigen oder zukünftigen Generationen betroffen sein könnten; Natur hat aufgrund ihrer Mitgeschöpflichkeit einen Eigenwert. Das Prinzip der Nachhaltigkeit impliziert demnach nicht nur „Pflichten des Umweltschutzes gegenüber gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, sondern auch gegenüber der Natur selbst“[15].
(2) Die Vernetzung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Problemfeldern der Gesellschaft findet Berücksichtigung.
(3) Die Forderungen der intergenerationellen Gerechtigkeit sind ein Element des Prinzips der Nachhaltigkeit. Damit wird die Forderung nach Gerechtigkeit zeitlich ausgedehnt; es erfolgt eine „Ausweitung von Gerechtigkeit auf intergenerationelle Gerechtigkeit“[16].
Diese normativen Grundelemente verdeutlichen, dass Nachhaltigkeit nicht nur als ethisches Prinzip bezüglich des Umweltschutzes aufgefasst werden darf. Auch ökonomische und soziale Faktoren sind in ihrer Wechselwirkung zu berücksichtigen. Und dies gilt sowohl bezogen auf die Gegenwart als auch auf die Zukunft.[17] In Anlehnung an die Umweltenzyklika „Laudato Si‘“ von Papst Franziskus kann somit von einem ganzheitlichen Verständnis von Nachhaltigkeit ausgegangen werden; schließlich ist der Klimawandel ein globales Problem, welches nicht nur mit schwerwiegenden Umweltproblemen einhergeht, sondern ebenso mit ernsten sozialen, wirtschaftlichen, politischen und distributiven Problemlagen (vgl. LS 25).[18]
Solch ein ganzheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit zeichnet sich auch in der Zielperspektive der sogenannten Großen Transformation ab. Diese beschreibt nach dem Politiker und Wirtschaftswissenschaftler Uwe Schneidewind einen „ökologischen, technologischen, ökonomischen, institutionellen und kulturellen Umbruchprozess zu Beginn des 21. Jahrhunderts“[19], dessen Leitperspektive eine Nachhaltige Entwicklung ist. Diese beschreibt wiederum eine „Welt, in der die Würde und die Entfaltungsmöglichkeiten von Menschen überall auf dieser Welt heute und in Zukunft Kompass für gesellschaftliches, politisches und ökonomisches Handeln sind“[20]. Um dieser Leitperspektive also gerecht zu werden, bedarf es eines Umbruchprozesses, bedarf es einer Großen Transformation.
Denn wenn, so der WBGU, die planetarischen Leitplanken nicht eingehalten werden, sind Ressourcen und Leistungen des Erdsystems gefährdet, „die für die Menschheit von großer Bedeutung sind“[21]. Es muss demnach eine „Transformation zur Nachhaltigkeit stattfinden, da ansonsten die natürlichen Lebensgrundlagen der immer noch wachsenden Weltbevölkerung gefährdet und die künftigen Entwicklungschancen der Gesellschaften deutlich eingeschränkt werden“[22].
Des Weiteren begründet der WBGU, dass angesichts „des Ausmaßes, der Dynamik sowie der engen Interaktionen der Megatrends des Erdsystems und der Megatrends der globalen Wirtschaft und Gesellschaft […] deutlich [wird], dass die Transformation zur Nachhaltigkeit eine Große Transformation werden muss“[23], da nahezu all unsere Lebensbereiche herausgefordert sind, nachhaltiger zu werden. So geht Schneidewind beispielsweise von sieben erforderlichen Wenden aus, wie die Energiewende, die Ressourcenwende oder die Konsumwende. All diese Wenden sind im Rahmen einer Großen Transformation notwendig, um das Ziel einer Nachhaltigen Entwicklung zu erreichen, und damit eine Welt, in der die Würde und Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen sowohl gegenwärtiger als auch zukünftiger Generationen gewahrt werden.[24]
Denkt man nun die hier zumindest skizzierten Grundelemente des christlich-sozialethischen Konzepts der Nachhaltigkeit und das Anliegen der Großen Transformation vor dem Horizont der Umweltenzyklika „Laudato Si‘“ zusammen, ergibt sich folgendes Verständnis, auf welchem eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Nachhaltigkeit aus christlich-sozialethischer Perspektive basieren kann: Wenn naturwissenschaftliche Zusammenhänge aufgedeckt werden, muss es auch darum gehen, zu erklären, „wie durch menschliches Handeln die ‚planetarischen Leitplanken‘ beeinträchtigt werden“[25]. Entsprechend schreibt auch Papst Franziskus: „Um die Ursachen der Umweltschädigung eines Ortes zu finden, ist unter anderem eine Analyse der Funktionsweise der Gesellschaft, ihrer Wirtschaft, ihrer Verhaltensmuster und ihres Wirklichkeitsverständnisses erforderlich“ (LS 139). Es geht demnach darum, aufzuzeigen, wie menschliches Handeln und die Ursachen der Umweltschädigungen zusammenhängen; schließlich wird es „uns nicht nützen, die Symptome zu beschreiben, wenn wir nicht die menschliche Wurzel der ökologischen Krise erkennen“ (LS 101).
Es genügt jedoch nicht, Ursachen der Umweltschädigung aufzudecken und Zusammenhänge aufzuzeigen; es gilt zudem danach zu fragen, wie sich bestimmte Bedingungen in unterschiedlichen Lebensbereichen verändern lassen, um das Ziel einer Nachhaltigen Entwicklung und damit ein gerechtes Miteinander auf dieser Welt – nicht nur für die gegenwärtigen, sondern auch für die zukünftigen Generationen – zu erreichen.[26] Diese Veränderungen sind nicht nur als eine Große Transformation anzusehen, die nahezu alle Lebensbereiche in ihrer Eigendynamik und Wechselwirkung herausfordert, sondern auch als eine „gesellschaftliche Transformation“[27], als eine „moralische Revolution“[28].
Schließlich geht es nicht nur um Veränderungen im menschlichen Handeln, sondern auch um neue Ideen und Wertvorstellungen, die unser Handeln leiten, denn nur durch Ideen und Wertvorstellungen, die mit der Leitperspektive einer Nachhaltigen Entwicklung übereinstimmen, kann sich unser Handeln dahingehend ändern, dass wir eine Welt schaffen, in der ein gerechtes Miteinander möglich ist.[29]
Es geht somit auch um Veränderungen, die uns alle in unserem „Welt- und Selbstverständnis“[30] angehen; es geht um unsere Vorstellungen vom guten Leben.[31] Folglich rücken bei dem Thema der Nachhaltigkeit, so der christliche Sozialethiker Markus Vogt, auch ethische und theologische Fragen in den Fokus; es geht schließlich um „grundsätzliche Anfragen an die zivilisatorischen Leitwerte sowie die Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle. Ethisch genügt es [demnach] nicht, einige Tugenden zu postulieren und Gesetzesregelungen zum Schutz von Umweltgütern zu installieren. Die ökologische Lage stellt auch grundlegende Leitwerte, Routinen und Gesellschaftsmodelle der Moderne in Frage“[32].
Vogt schreibt des Weiteren, dass das Postulat der Nachhaltigkeit nur dann richtig verstanden werden kann, „wenn seine unterschiedlichen Dimensionen nicht isoliert nebeneinander in den Blick kommen, sondern integral in ihrer vielschichtigen Verflechtung. Nachhaltigkeit zielt auf eine Methode des Denkens, nämlich das Denken in Beziehungszusammenhängen. Es handelt sich um ein auf Relationalität angelegtes Konzept.“[33]
Ein integratives Verständnis von Nachhaltigkeit fordert demnach heraus, jegliche Lebensbereiche und Systeme, aber auch Vorstellungen vom guten Leben auf ihre Leitperspektiven hin zu hinterfragen und ebenso all ihre Dimensionen, deren Dynamiken und Vernetzungen zu berücksichtigen.[34] Schließlich kann, so der Klimaforscher Wolfgang Lucht, „technologische Entwicklung ohne eine Transformation der Werte und Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation nicht zum Ziel einer nachhaltig bewahrten Welt führen […]. Nur durch einen Wandel in allen betroffenen Dimensionen, der sozio-kulturellen, politischen und ökonomisch-technologischen, kann eine große Transformation zur Nachhaltigkeit erfolgen, welche den Namen verdient.“[35]
Entsprechend scheitern digitale Strategien an ihrem Ziel einer Nachhaltigen Entwicklung, wenn sie nicht gleichzeitig weitere ökologische, ökonomische oder soziale Aspekte an sich und in ihrer Wechselwirkung berücksichtigen. So gilt es beispielsweise, Produkte bei der Herstellung, im Betrieb und bei der Entsorgung im Sinne solch eines integrativen Ansatzes von Nachhaltigkeit zu optimieren.[36] Dies bedeutet, auch die Frage nach den Arbeitsbedingungen in der Herstellung technologischer Geräte zu stellen und auf die damit verbundenen Forderungen sozialer Gerechtigkeit zu verweisen.[37]
Zudem ist grundsätzlich ein kritischer Blick auf die Vielzahl an derzeit entstehenden digitalen Technologien notwendig. Denn nur ein Bruchteil der Innovationen scheint darauf ausgelegt, einen Beitrag für eine smarte und grüne Welt zu leisten. Der „weitaus größere Teil sind neue Spielereien, die vielleicht dem Komfort dienen, aber nicht unbedingt die Energiewende vorantreiben.“[38] So vielversprechend also digitale Technologien sein mögen, es muss grundsätzlich bedacht werden, dass diese Technologien „bestehende Umweltprobleme und Ungleichheiten [auch] verstärken“[39] können.
Solch ein integratives Verständnis von Nachhaltigkeit gilt es im Kontext einer nachhaltigen Digitalisierung als grundlegende Hermeneutik anzusehen; sie bildet den Verstehenshorizont, von dem aus sich weitere ethische Leitlinien ableiten lassen. Exemplarisch können die Leitlinien der digitalen Suffizienz, der informationellen Selbstbestimmung und der digitalen Teilhabe genannt werden.
3. Ethische Leitlinien für eine smarte und grüne Welt – eine Auswahl[40]
3.1 Digitale Suffizienz
Die vorangegangenen Überlegungen haben bereits hervorgehoben, dass es neuer Wertvorstellungen bedarf, die unser Handeln leiten. Entsprechend gilt es nach „Lösungen nicht nur in der Technik zu suchen, sondern auch in einer Veränderung des Menschen“ (LS 9). Neben einer deutlichen Reduktion der Ressourcen- und Energieverbräuche bedarf es eben auch einer Änderung unseres Lebensstils. Diese Forderung kann mit dem Begriff der Suffizienz ausgedrückt werden. Sie impliziert nicht nur die Forderung einer Reduktion; aus ihr folgt auch, dass die „Gleichsetzung von Lebensqualität und Lebensstandard“[41] aufzugeben ist.
Sicherlich geht es bei solch einem Lebensstil um eine Vorstellung von Leben, „das weniger auf Status, Verbrauch und Konsum ausgerichtet ist, aber trotzdem – oder auch gerade dadurch – mit einem Zuwachs an Zufriedenheit, Beziehung, Freude, Sinn und Erfüllung verbunden sein kann“[42]. Diese neuen Qualitäten können mit dem Begriff der Genügsamkeit zusammengefasst werden. Genügsamkeit bedeutet eben „nicht weniger Leben, sie bedeutet nicht geringere Intensität, sondern ganz das Gegenteil“ (LS 223), sie wirkt „befreiend“ (ebd.). Im Kontext der Digitalisierung bedeutet dies – in den Worten von Lange und Santarius: „So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich“[43].
Digitalisierung im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung zeichnet sich demnach nicht durch eine Haltung des „immer mehr“ oder „immer schneller“ aus, sondern durch solch eine Haltung der Genügsamkeit; nur durch solch eine Haltung der digitalen Suffizienz kann ein Beitrag zu einer nachhaltigen Lebensweise geleistet werden.
3.2 Informationelle Selbstbestimmung und Privatheit
Neben der digitalen Suffizienz gilt es in diesem Kontext auch das Thema der informationellen Selbstbestimmung und Privatheit zu erwähnen, und dies aus zwei Gründen: Ein konsequenter Datenschutz ist zum einen aus ökologisch-ökonomischen Gründen wichtig. Schließlich werden Daten insbesondere zu kommerziellen Zwecken gesammelt und ausgewertet,[44] und zwar mit dem „Ziel, über personalisierte Werbung und Preise oder situatives Marketing […] das bereits heute nicht nachhaltig hohe Konsumniveau noch weiter zu steigern“[45]. Dies wäre angesichts der geforderten Konsumwende kontraproduktiv. Zum anderen ist ein konsequenter Datenschutz zu fordern, um den „Schutz der Privatsphäre, die Integrität der Person“[46] zu gewährleisten; schließlich muss jede Person um ihrer Freiheit willen selbstbestimmt entscheiden dürfen, wem welche Informationen über sich selbst vorliegen.
Konkret geht es im Kontext der Digitalisierung demnach um Forderungen des Datenschutzes. Aus der Perspektive der Verbraucher würde dies beispielsweise bedeuten, für ein besseres privacy-by-design und privacy-by–default und eine strenge e-privacy-Verordnung zur Gewährleistung eines besseren Datenschutzes zu plädieren.[47]
3.3 Digitale Teilhabe
Dies würde sicherlich entsprechende Strukturen erfordern. Und erst wenn diese gemäß des oben skizzierten integrativen Verständnisses von Nachhaltigkeit geschaffen wären, wäre eine digitale Teilhabe und somit ein Beitrag zu einer Nachhaltigen Entwicklung möglich. Trotzdem gilt es, insbesondere angesichts der eben genannten Vorteile, sich eingehender mit dieser Leitlinie auseinanderzusetzen.
Diese Überlegungen zeigen auf, welchen Beitrag eine christliche Sozialethik im Kontext einer nachhaltigen Digitalisierung leisten kann: Sie kann ausgehend von einer grundlegenden Hermeneutik ethische Leitlinien entwickeln, an denen sich digitale Innovationen messen lassen können, um der Leitperspektive einer Nachhaltigen Entwicklung gerecht zu werden. Diese können schließlich nicht nur der Orientierung dienen, sondern auch einen Beitrag zur Wahrnehmung und Deutung möglicher Ambivalenzen leisten. Somit kann christliche Sozialethik im gesellschaftlich-politischen Diskurs als Anwältin einer nachhaltigen Digitalisierung fungieren. Zugleich kann sie damit der Notwendigkeit eines moralischen Kompasses begegnen.
Literatur
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Anmerkungen
[1] Vgl. hierzu auch Karger-Kroll, Digitalisierung und Nachhaltigkeit – geht das zusammen, 3.
[2] Lange / Santarius, Smarte grüne Welt, 151.
[3] Ebd., Klappentext.
[4] Colaco, Irmela / Pohl, Johanna Pohl / Brischke, Lars-Arvid Brischke, „Smartes Wohnen“, 30.
[6] Ebd., 311.
[7] Heimbach-Steins, Wozu dieses Buch, 7.
[8] Ebd., 7f.
[9] Vgl. für die folgenden Ausführungen auch Karger-Kroll, smart, effizient und grün, 14-16.
[10] Vogt, Christliche Sozialethik als Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen der Moderne, 7.
[11] Vgl. ebd., 6f.
[12] Vgl. für die folgenden Ausführungen auch Karger-Kroll, smart, effizient und grün, 2-5, 10f.
[13] Grundsätzlich ist Nachhaltigkeit das Leitbild gegenwärtiger gesamtgesellschaftlicher Diskussionen und Entwicklungen. Seine erste öffentlichkeitswirksame Rezeption erreichte es im politischen Bereich im so genannten „Brundtland-Bericht“ (1987) der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. In diesem wird Nachhaltigkeit als eine Entwicklung definiert, „die die Bedürfnisse der heutigen Generation erfüllt, ohne den künftigen Generationen die Möglichkeit zu nehmen, ihre Bedürfnisse zu erfüllen“ [Hauff, Unsere gemeinsame Zukunft, Nr. 27). Mit der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) erlangt dieses Konzept internationale Anerkennung als „das Leitbild für politisches Handeln, das die ökologischen, ökonomischen und sozialen Faktoren gesellschaftlicher Entwicklung integriert“ [Veith, Nachhaltigkeit, 306]. Das Aktionsprogramm wurde als „Agenda 21“ verabschiedet. Die Agenda 2030 beinhaltet 17 globale Ziele einer nachhaltigen Entwicklung. Um diese zu erreichen, bedarf es der Berücksichtigung von ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. Vgl. hierzu www.17ziele.de.
[14] In diesem Kontext gilt es darauf hinzuweisen, dass das Konzept der Nachhaltigkeit bisher nicht als Sozialprinzip der Katholischen Soziallehre gewertet wird, was durchaus kritisch gesehen werden kann. So plädiert beispielsweise der christliche Sozialethiker Markus Vogt für eine Integration von Nachhaltigkeit in den Reigen der Sozialprinzipien der Katholischen Soziallehre, denn dieses Konzept „könnte wie kein zweiter normativer Leitbegriff als ‚missing link‘ zwischen der theologischen Sprache auf der einen Seite und den gesellschaftspolitischen sowie ökonomischen Sprachspielen auf der anderen Seite vermitteln. […] Man hätte dann einen Ort, um die Zuordnung gesellschaftstheoretischer und ökologisch-naturwissenschaftlicher Problemebenen zu reflektieren“ [Vogt, Christliche Umweltethik, 255]. Vgl. hierzu auch Vogt, Globales Gemeinwohl und Nachhaltigkeit, 199-203; ders., Nachhaltigkeit aus theologisch-ethischer Perspektive, 229f; ders., Prinzip Nachhaltigkeit, insbesondere 476-481.
[15] Kruip, Umweltethik und Nachhaltigkeit in christlicher Perspektive, 321.
[16] Ebd., 320. Hervorhebung im Original.
[17] Vgl. zu den Grundelementen Kruip, Umweltethik und Nachhaltigkeit in christlicher Perspektive, 320f; Veith, Nachhaltigkeit, 303, 311; Vogt, Christliche Umweltethik, 49-51.
[18] Sicherlich ist in diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass der Begriff der Nachhaltigkeit selbst in der Enzyklika nicht erwähnt wird; lediglich das Adjektiv wird verwendet. Vgl. Vogt, Globales Gemeinwohl und Nachhaltigkeit, 186. – Der normative Leitbegriff dieser Enzyklika, so Vogt, ist der der „Ökologie“. „Dieser wird teilweise deskriptiv für ökologische Systeme und Wirkungszusammenhänge, teilweise normativ als Postulat eines ganzheitlichen Denkens und Handelns, das stets die Wechselwirkungen zwischen sozialen, wirtschaftlichen und bioökologischen Faktoren im Blick behält, verwendet. Ökologie meint in der Enzyklika also nicht nur Naturschutz, sondern allgemeiner ein Denken in Beziehungszusammenhängen, das soziale Gerechtigkeit impliziert“ [ebd., 199f].
[19] Schneidewind, Die Große Transformation, 11.
[20] Ebd., 23.
[21] WBGU, Welt im Wandel, 66.
[22] Ebd.
[23] Ebd.
[24] Vgl. Schneidewind, Die Große Transformation, 169-294. Vogt nennt insgesamt acht Dimensionen der Nachhaltigkeit: „ökologisch/forstwirtschaftlich, politisch, gerechtigkeitstheoretisch, sozioökonomisch, demokratisch, kulturell, zeitpolitisch und theologisch“ [Vogt, Christliche Umweltethik, 482], die sich durchaus in den von Schneidewind geforderten sieben Wenden widerspiegeln.
[25] Schneidewind, Die Große Transformation, 37.
[26] Vgl. ebd., 37.
[27] Ebd., 34.
[28] Ebd., 42.
[29] Vgl. ebd., 42f.
[30] Vogt, Christliche Umweltethik, 108.
[31] Vgl. Sühlmann-Faul / Rammler, Der blinde Fleck der Digitalisierung, 16f.
[32] Vogt, Christliche Umweltethik, 108f.
[33] Vogt, Christliche Umweltethik, 483. „Der logische Kern des Nachhaltigkeitsprinzips ist der Paradigmenwechsel von linearem zu vernetztem Denken, von der Konzentration der Aufmerksamkeit auf Einzelobjekte und lineare Kausalketten hin zum Interesse für komplexe Wechselwirkungen und netzwerkartige Ganzheiten mit eigenen Zeitverläufen und Rhythmen“ [Vogt, Prinzip Nachhaltigkeit, 478f].
[34] Vgl. Schneidewind, Die Große Transformation, 39f. In diesem Kontext soll zumindest der Begriff der Retinität genannt werden. Allerdings kann im Rahmen dieses Papiers nicht näher auf diesen Begriff eingegangen werden. Vgl. aber für eine erste, grundlegende Auseinandersetzung mit diesem Begriff Vogt, Prinzip Nachhaltigkeit, 347-357.
[35] Lucht, Verwüstung oder Sicherheit, 50.
[36] Vgl. Schneidewind, Die Große Transformation, 164-166; Sühlmann-Faul / Rammler, Der blinde Fleck der Digitalisierung, 33f.
[37] Vgl. Lange / Santarius, smarte grüne Welt, 146; Sühlmann-Faul / Rammler, Der blinde Fleck der Digitalisierung, 178.
[38] Lange / Santarius, smarte grüne Welt, 40.
[39] WBGU, Unsere gemeinsame digitale Zukunft, 33.
[40] Vgl. für die folgenden Ausführungen auch Karger-Kroll, smart, effizient und grün, 11-14.
[41] Sühlmann-Faul / Rammler, Der blinde Fleck der Digitalisierung, 33.
[42] Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Wie sozial-ökologische Transformation gelingen kann, 33. In diesem Kontext kann insbesondere hingewiesen werden auf Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Raus aus der Wachstumsgesellschaft? Eine sozialethische Analyse und Bewertung von Postwachstumsstrategien (Studien der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ 21), Bonn 2018.
[43] Lange / Santarius, Smarte grüne Welt, 152.
[44] Vgl. hierzu auch ebd., 50-60.
[45] Ebd., 157.
[46] Ebd., 156.
[47] Vgl. Gährs / Aretz / Rohde u.a., Die Digitalisierung des Energiesystems, 4. „,Privacy by Design‘ sind technische Vorrichtungen, die den Datenschutz von Anfang an einbeziehen, zum Beispiel durch automatische Pseudonymisierung. ‚Privacy by Default‘ heißt: In den Voreinstellungen neu eingerichteter Programme oder Accounts ist grundsätzlich die datenschutzfreundlichste Option vorzusehen, es sollen also möglichst wenige Daten verarbeitet werden“ [Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Datenschutz-Grundverordnung]. „E-Privacy ist der gängige Begriff, wenn es um den Umgang mit personenbezogenen Daten im Internet und den damit verbundenen Schutz der Privatsphäre geht. Die E-Privacy-Richtlinie regelt den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation. Eine neue E-Privacy-Verordnung wird aktuell auf EU-Ebene verhandelt“ [Der Bundesbeauftrage für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, E-Privacy-Verordnung]. Grundsätzlich kann in diesem Kontext selbstverständlich verwiesen werden auf Datenethikkommission der Bundesregierung (Hg.), Gutachten der Datenethikkommission der Bundesregierung, Berlin 2019.
[48] Sühlmann-Faul / Rammler, Der blinde Fleck der Digitalisierung, 167.
[49] Vgl. ebd.
Die Verfasserin
Dr. theol. Anna Karger-Kroll ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Fachvertreterin für Theologische Ethik am Lehrstuhl für Systematische Theologie des Seminars für Katholische Theologie an der Universität Siegen.