Elisabeth Zschiedrich
Kinder als gesellschaftliches Gut
Zur quantitativen und qualitativen Bedeutung von Elternschaft
Die „Kinderfrage“, das heißt die Frage, was die Menschen hierzulande dazu bewegt, Nachwuchs zu bekommen oder sich dagegen zu entscheiden und damit verbunden auch die Kontroverse darüber, ob es in Deutschland genug, zu wenig oder gar zu viele Kinder gibt, ist ein Thema, das die Öffentlichkeit seit einigen Jahrzehnten immer wieder beschäftigt. Den jüngsten Anstoß zu einer Debatte darüber gab im März dieses Jahres die Lehrerin Verena Brunschweiger mit ihrem Buch „Kinderfrei statt kinderlos“[i] und der These, es sei allein aus ökologischen Gründen besser, auf Kinder zu verzichten. Sie selbst sieht sich wegen ihrer Kinderlosigkeit zu Unrecht diskriminiert und verteidigt die von ihr bewusst gewählte Lebensform als die gegenüber der Gesellschaft „rücksichtsvollere“.
Dass Brunschweiger mit ihren Thesen zum Teil heftige Gegenreaktionen auslöste, verwundert nicht, widerspricht sie doch der landläufig verbreiteten, auch die deutsche Familienpolitik grundsätzlich leitenden Vorstellung, nicht Kinderlosigkeit, sondern Elternschaft sei die gemeinwohlförderlichere Lebensform. Vor allem mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme und die wirtschaftliche Produktivität, aber auch mit Blick auf das gesellschaftliche Klima oder auf die Entwicklung des Verhältnisses von Jung zu Alt gilt die derzeitige demografische Situation einer geburtenschwachen, alternden und langfristig schrumpfenden Bevölkerung gemeinhin als problematisch, wenn nicht als bedrohlich, die Übernahme von Elternschaft dagegen als begrüßenswert. Allerdings sind bereits vor Brunschweigers „Manifest“ zahlreiche Bücher und Zeitungsartikel erschienen, die diesen Zusammenhang in Frage stellen, die also die demografische Entwicklung in ihrer Bedrohlichkeit anzweifeln und/oder Elternschaft eher als egoistisch denn als altruistisch orientierte Lebensform bewerten möchten. Kinder, so die These, seien kein gesellschaftliches Gut, sondern – ebenso wie (eine bewusst gewählte) Kinderlosigkeit – reine Privatsache.
Das Thema ist nun freilich sehr komplex und in der gebotenen Kürze des vorliegenden Beitrags kaum umfassend zu behandeln. Ziel der folgenden Ausführungen soll es aber sein, der genannten These zu widersprechen, indem die Übernahme von Elternschaft als für die Gesellschaft wertvoll dargestellt wird, und zwar nicht allein in ihrer quantitativen, sondern – was aus sozialethischer Sicht besonders bedeutsam erscheint – auch in ihrer qualitativen Dimension. Um nicht einfach Behauptungen in den Raum zu stellen, sondern die inhaltlichen Zusammenhänge begründet darstellen zu können, beschränkt sich dieser Aufsatz auf je ein Beispiel, anhand dessen die quantitative und qualitative Bedeutung von Elternschaft veranschaulicht wird.[ii]
Quantitative Implikationen von Elternschaft
Ob Menschen die „Kinderfrage“ für sich positiv oder negativ beantworten, ob sie also – soweit sie ihre Entscheidung in die Tat umsetzen (können) – im Laufe ihres Lebens Eltern werden oder kinderlos bleiben, verändert selbstverständlich in allererster Linie ihr individuelles bzw. partnerschaftliches Leben. Darüber hinaus ist die Entscheidung der Einzelnen für oder gegen Kinder aber auch von gesellschaftlicher Bedeutung. Die Zahl der Geburten beeinflusst unmittelbar die Größe und die Altersstruktur einer Bevölkerung. Bezogen auf die aktuelle demografische Situation in Deutschland heißt das: Je mehr Kinder die Einzelnen bekommen, desto geringer fallen die langfristig prognostizierte Schrumpfung und die bereits stattfindende Alterung aus. Will man die gesellschaftlichen Implikationen von Elternschaft und Kinderlosigkeit in quantitativer Hinsicht untersuchen, muss man also nach den gesellschaftlichen Implikationen von Bevölkerungsschrumpfung und -alterung fragen. Dies soll hier beispielhaft mit Blick auf die gesetzliche Rentenversicherung geschehen.
Die demografische Entwicklung als Herausforderung für die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland
Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland ist umlagefinanziert aufgebaut. Das heißt, die heutigen Rentenbezieher bekommen nicht das von ihnen während ihres Erwerbslebens selbst eingezahlte Geld im Ruhestand gleichsam zurückausbezahlt, sondern sie erhalten die von den aktuell Erwerbstätigen eingezahlten Beiträge als Rente. Die Altersrenten der heute Erwerbstätigen müssen wiederum aus den Beitragsleistungen der dann nachgerückten Kindergeneration finanziert werden. Da nur eine minimale Reserve gebildet wird, ist ein ausgeglichener Rentenhaushalt gegeben, wenn ein Gleichgewicht aus Beitrags- und Rentenzahlungen besteht.[iii]
Das Umlageverfahren der Rentenversicherung beruht damit auf zwei Säulen. Jede Generation muss in ihrer leistungsfähigen, mittleren Lebensphase zwei Leistungen erbringen: Indem sie Rentenbeiträge aus ihrem Erwerbseinkommen zahlt, muss sie für die Renten ihrer Eltern aufkommen. Gleichzeitig muss sie aber für ihre eigene Rentenzeit vorsorgen, indem sie Kinder bekommt, ernährt und erzieht. Wenn eine dieser beiden Leistungen nicht oder nicht ausreichend erbracht wird, ist der Generationenvertrag nicht erfüllt und die Funktionsfähigkeit des Umlageverfahrens gefährdet. Die derzeitige demografische Entwicklung stellt das Alterssicherungssystem in Deutschland folglich vor ein Problem. Mit der zunehmenden Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung wird es in den nächsten Jahrzehnten deutlich mehr Rentenempfänger als beitragszahlende Versicherte geben.
Freilich kann das verschobene Verhältnis von Empfängern und Einzahlern durch niedrigere Renten oder durch einen höheren Beitragssatz kompensiert werden. Allerdings müssten diese Anpassungen so drastisch ausfallen, dass die daraus entstehende Belastung (beispielsweise die Anhebung des Beitragssatzes von derzeit knapp 20 Prozent des Bruttolohns auf mindestens rund 30 Prozent im Jahr 2035[iv]) weder der erwerbstätigen Generation individuell zumutbar wäre noch gesamtgesellschaftlich oder wirtschaftlich Sinn ergäbe. Eine deutliche, den demografischen Erfordernissen entsprechende Absenkung des Rentenniveaus würde für viele der heute Erwerbstätigen wiederum einen Ruhestand in der Nähe des Existenzminimums bedeuten. Auch dies wäre weder individuell tragbar noch politisch oder wirtschaftlich wünschenswert.
Neben einer Anhebung des Beitragssatzes und einer Absenkung des Rentenniveaus, wie sie ohnehin bereits stattfindet, sind zur Erhaltung der gesetzlichen Alterssicherung also weitere Reformen notwendig. Ein naheliegender Reformvorschlag ist die Anhebung des Renteneintrittsalters mit dem Ziel, den zahlenmäßigen Unterschied zwischen Rentnern und Personen in der Erwerbsphase abzuflachen. Für eine Umsetzung dieses Vorschlags sprechen die steigende Lebenserwartung der deutschen Bevölkerung sowie eine durchschnittlich bessere Gesundheit auch im hohen bzw. höheren Lebensalter.
Gründe, die gegen ein allmähliches Hinausschieben des Renteneintrittsalters vorgebracht werden, sind die ungewissen Beschäftigungsmöglichkeiten älterer Menschen sowie die Tatsache, dass es weiterhin Tätigkeitsbereiche gibt, in denen mit einer körperlichen Beeinträchtigung zu rechnen ist, sodass eine Beschäftigung über das 65. Lebensjahr hinaus unzumutbar erscheint. Um in anderen Tätigkeitsbereichen eine Verlängerung der Erwerbsphase für möglichst viele zu realisieren, wäre die Durchsetzung ergänzender sozial- und insbesondere bildungspolitischer Maßnahmen, beispielsweise zur Weiterqualifizierung älterer Arbeitnehmer, sowie vielfach auch ein Umdenken seitens der Unternehmen erforderlich. Ob dies gelänge, bliebe abzuwarten. Wollte man das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern allein durch das Aufschieben des Renteneintrittsalters stabilisieren, müsste man dieses allerdings in einem unrealistischen Ausmaß erhöhen (laut Berechnungen Herwig Birgs bis auf 72 Jahre im Jahr 2050[v]).
Unumstritten ist, dass eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote sowie auch ein Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit zur Stabilisierung des Sozialversicherungssystems zumindest temporär beitragen könnten. Allerdings wäre der mit einer erheblichen Steigerung der Frauenerwerbsquote verbundene Positiveffekt auf die Rentenversicherung zwar kurzfristig wirksam, in wenigen Jahren wäre er aber schon wieder „verpufft“ und die Zahl der Erwerbstätigen nähme wieder ab. Ähnliches wird für eine Erhöhung der Erwerbsquote durch Abbau von Arbeitslosigkeit prognostiziert: Auch hier wäre lediglich eine temporäre Entlastung bei der Finanzierung der Rentenversicherung zu erwarten, nämlich bis zu dem Zeitpunkt, ab dem die zusätzlich Erwerbstätigen selbst Renteneinkommen bezögen.[vi]
Ein anderer Weg, sowohl eine übermäßige Rentenbeitragserhöhung als auch ein massiv zu senkendes Rentenleistungsniveau zu vermeiden, könnte darin bestehen, die Rentenversicherung in größerem Umfang als bisher durch Bundeszu-schüsse zu finanzieren. Allerdings wäre diese Maßnahme genau betrachtet nur eine anders verpackte Form der Beitragserhöhung: Da die Bundeszuschüsse steuerfinanziert sind, müssten die Erwerbstätigen zwar nicht mit massiven Beitragserhöhungen, stattdessen aber mit deutlich höheren Steuern rechnen. Auch steuerfinanzierte Systeme beruhen auf dem Umlageverfahren und belasten damit die mittlere Generation. Angesichts der demografischen Herausforderung bietet eine Umstellung auf solche Systeme folglich keine Lösung. Dies ist aus bevölkerungstheoretischer Sicht auch der Hauptgrund für Einwände gegen einen dritten Reformvorschlag, nämlich den der Einführung einer beitragsunabhängigen, steuerfinanzierten Staatsbürger-Grundrente.
Ein kapitalgedecktes System als „Königsweg“?
Als radikalere Handlungsoption angesichts der demografischen Herausforderung wird der Vorschlag einer Umgestaltung des umlagefinanzierten in ein kapitalgedecktes System vorgebracht. In einem solchen finanziert, zumindest der Idee nach, jede Generation ihre „eigene“ Rente. Die Erwerbstätigen sammeln Sparbeiträge, die am Kapitalmarkt angelegt und in verzinster Form – erst dann und dann direkt an sie – ausgezahlt werden, wenn sie das Rentenalter erreicht haben. Charmant daran wirkt die scheinbare Unabhängigkeit von fertilitätsbedingten Veränderungen.
Hier liegt allerdings ein Denkfehler. Auch ein kapitalgedecktes System bleibt abhängig von der demografischen Entwicklung. Der angesparte Kapitalstock behält nämlich nur dann seinen Wert, wenn eine junge erwerbstätige Generation diesen übernimmt und seiner produktiven Verwertung zuführt. Nur wenn dies garantiert ist, können die Rentenversicherten, die im Laufe ihres Lebens eine gewisse Ansparsumme erreicht haben, diese über ihren Ruhestand hinweg wieder entsparen, das heißt in Konsum verwandeln. Aus rein ökonomischer Sicht ergibt sich das Niveau der Renten im Umlageverfahren nicht aus der Höhe der Beiträge, die die Einzelnen in der Vergangenheit eingezahlt haben. Das Rentenniveau wird vielmehr davon bestimmt, wie viele Menschen zur Zeit der Rentenauszahlung erwerbstätig sind, über welchen Sach-Kapitalstock und über welche Ausbildung (Humankapital) sie verfügen. Umgekehrt gilt: „Alle drei Determinanten des zukünftigen Sozialprodukts liegen einzig und allein in der Hand der heute Aktiven. Die Zahl ihrer Kinder und ihre Investitionen in Sach- und Humankapital stellen ihren eigentlichen Beitrag für ein Umlagesystem dar, der allein für die absolute Höhe der späteren Rentenbezüge maßgeblich ist.“[vii]
Ein wesentlicher Unterschied besteht in der heutigen globalisierten Welt mit ihren hoch integrierten Finanzmärkten dennoch zwischen dem Umlage- und dem Kapitalansammlungsverfahren: Die Renten aus der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung, welche weitestgehend aus den Beiträgen der Versicherten dieses Systems finanziert werden, sind Teil der in der nationalen Volkswirtschaft gezahlten Löhne oder Erwerbseinkommen. Die Altersbezüge im Kapitaldeckungsverfahren bestehen dagegen aus Geld, das Versicherungen, Fonds oder Banken durch Zinsen, Mieten, Gewinnausschüttungen oder Veräußerungserlöse nicht allein im Inland, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch im Ausland eingenommen haben.
Das umlagefinanzierte Rentensystem kann – wie mit den Reformen des beginnenden Jahrtausends zumindest auf freiwilliger Basis auch bereits erfolgt – also durchaus sinnvoll ergänzt werden. Der vollständige Ersatz der umlagefinanzierten Sozialversicherungen durch ein kapitalgedecktes System würde dagegen bedeuten, „dass an die Stelle der demografisch verbürgten Sicherheit […] durch die Erziehung von Kindern eine nur auf den Kapitalmarkt vertrauende Vorsorge träte, die naturgemäß umso weniger Sicherheit bietet, je ertragreicher und damit riskanter die Kapitalanlagen sind“[viii]. Abgesehen von dem damit verbundenen erhöhten Risiko wäre eine komplette Umstellung des Rentenversicherungssystems, bei der gleichzeitig die bisher erworbenen Ansprüche eingelöst werden und zusätzlich ein ausreichender Kapitalstock aufgebaut werden müsste, innerhalb überschaubarer Zeiträume nicht realisierbar.[ix]
Geburtenanstieg – eine besonders nachhaltige Lösungsoption
Der vielversprechendste Vorschlag zur Bewältigung der demografischen Herausforderung geht schließlich davon aus, dass allein eine Kehrtwende in der Bevölkerungsentwicklung – konkret: ein Anstieg der Geburtenrate und eine Erhöhung der Zuwandererzahlen – die Probleme der Sozialversicherungssysteme langfristig beseitigen könne. Dabei scheidet Zuwanderung als alleiniges Mittel aus. Angesichts der hohen Zahl an Menschen, die nach Deutschland kommen müssten, um den Generationenvertrag zu erfüllen, der im umlagefinanzierten Rentensystem angelegt ist, entstünden mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum zu bewältigende Integrationsprobleme, die den sozialen Zusammenhalt gefährdeten. Da als Hilfe zur Sanierung der Sozialversicherungssysteme außerdem wiederum nur die Zuwanderer „nützlich“ sind, die so jung und so qualifiziert sind, dass sie hierzulande einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen können und damit (möglichst lang möglichst hohe) Beiträge in die Systeme zahlen, stellen sich zudem ethische Fragen, denn die Menschen, die die deutsche Volkswirtschaft durch Zuwanderung gewinnt, gehen anderen Ländern notwendigerweise „verloren“.
Zudem kommen auch diejenigen Zuwanderer, die das Erwerbspersonenpotenzial und die Gruppe der Beitragszahler in diesem Sinne vergrößern, eines Tages ins Rentenalter und werden selbst Beitragsempfänger. Falls sie – wie bei einer Mehrheit der Zuwanderer derzeit der Fall – im Ruhestand oder früher in ihr Heimatland zurückkehren, bleiben ihre Rentenansprüche erhalten und müssen durch die Gruppe der in Deutschland lebenden Beitragszahler abgeglichen werden. Günstiger stellt sich die Situation für die Sozialversicherungssysteme dar, wenn die Zuwanderer, gleich, ob sie hier bleiben oder das Land verlassen, Kinder und Enkelkinder haben, die weiterhin in Deutschland leben und sich am Erwerbsleben beteiligen. Die verschiedenen Aspekte zusammenfassend, zeigt sich: Auch eine qualifizierte Zuwanderung kann den Rückgang der Erwerbstätigenzahl und den Anstieg der Rentnerzahl nicht aufhalten, sondern allenfalls mildern.
Einen nachhaltig positiven Effekt auf die Finanzierbarkeit und die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme und insbesondere die Rentenversicherung hätte dagegen eine Steigerung der Geburtenrate. Eine deutliche Zunahme der Kinderzahl würde sowohl die Alterung als auch die Schrumpfung der deutschen Bevölkerung langfristig umkehren. Allerdings ist der demografische Wandel inzwischen so weit vorangeschritten, dass eine Wende allein durch einen Anstieg der Geburtenzahlen ebenfalls unrealistisch ist. Um die Relation zwischen Erwerbsfähigen und Rentnern bis zum Jahr 2050 auf dem Niveau von 2005 stabil zu halten, müsste die Zahl der je Frau geborenen Kinder von derzeit rund 1,5 auf 3,8 steigen.[x]
Zu bedenken ist außerdem, dass bei der derzeitigen Organisation der sozialen Sicherungssysteme jeder Mensch im Verlauf seines Lebens durchschnittlich mehr Transferleistungen empfängt als er im Gegenzug an Steuern und Beiträgen an den Staat leistet. Reformen der sozialen Sicherungssysteme sind also auch unter diesem Gesichtspunkt und selbst bei wieder steigenden Geburtenraten unumgänglich.[xi]
Schließlich ergibt sich durch eine Erhöhung der Geburtenzahlen für die Rentenversicherung wie auch für die anderen umlagebasierten Sozialversicherungssysteme kein kurzfristiger, unmittelbar spürbarer Gewinn. Vielmehr zeigt sich, anders als bei einer Erhöhung der Erwerbsquote oder bei einer vermehrten Zuwanderung, der Positiveffekt erst mittel- bis langfristig, das heißt nach 15 bis 20 Jahren, mit dem Eintritt der neu geborenen Kinder in das Erwerbsleben. Dafür sorgt ein Anstieg der Fertilitätsrate auf besonders nachhaltige Weise für die Stabilisierung des Rentensystems, da sich mit der Geburt von mehr Kindern gleichzeitig die künftige Zahl potenzieller Eltern erhöht.
Keine Rente ohne Kinder
Die Auseinandersetzung mit den quantitativen Implikationen von Elternschaft für die Gesellschaft am Beispiel der gesetzlichen Rentenversicherung hat gezeigt, dass die soziale Organisation einer Absicherung im Alter weitaus besser – eigentlich sogar: nur dann – möglich ist, wenn in Deutschland Kinder geboren werden. Kinderlosigkeit schadet dagegen der Funktionsfähigkeit der Rentenversicherung. Die aufgrund der demografischen Situation bestehenden Herausforderungen können mit einer Reihe von Maßnahmen zwar abgeschwächt, aber nicht vollständig gelöst werden. Wer (gewollt oder ungewollt) keine Kinder bekommt, profitiert also – wie hier gezeigt, zumindest in Bezug auf die Alterssicherung – immer davon, dass andere Menschen Eltern werden.
Wollte man die quantitativen Implikationen von Elternschaft umfassend beleuchten, wäre es an dieser Stelle angezeigt, auch die anderen Sozialversicherungssysteme sowie die wirtschaftliche und die soziale Situation dahingehend zu untersuchen, inwiefern sich eine abnehmende oder zunehmende Bereitschaft zur Elternschaft auf diese auswirkt. Stattdessen soll der Blick nun aber in eine andere Richtung geweitet werden, indem nicht weiter nach den gesellschaftlichen Auswirkungen des „Ob“, sondern nach den Auswirkungen des „Wie“ von Elternschaft gefragt wird. Bei der rein zahlenmäßigen Beschäftigung mit Kindern und Eltern stehen zu bleiben, wäre Ausdruck eines verkürzten, funktionalisierten Menschen- und Gesellschaftsbildes. Dies trifft im Übrigen insbesondere auch auf eine „Keine-Kinder-fürs-Klima“-Sichtweise zu, die Menschen auf ihren CO2-Ausstoß reduziert. Zudem entstünde durch eine solche Perspektive der Eindruck, das Gemeinwohl einer Gesellschaft werde allein durch die Existenz (einer bestimmten Zahl) von Menschen und durch funktionierende Sozialsysteme verwirklicht. Nach der quantitativen gilt es nun also die qualitative Bedeutung von Elternschaft in den Blick zu nehmen.
Qualitative Implikationen von Elternschaft
Wer heute Elternverantwortung übernimmt, entscheidet sich in aller Regel nicht einfach dafür, ein Kind „in die Welt zu setzen“. Vielmehr sind sich Mütter und Väter mehrheitlich darüber im Klaren, dass die Geburt eines Kindes das Recht, aber vor allem auch die (in Artikel 6 des Grundgesetzes beschriebene) Pflicht mit sich bringt, für dieses zu sorgen und es seinem Entwicklungsstand entsprechend zu pflegen und zu erziehen, was bedeutet, sich sowohl materiell als auch zeitlich ausreichend um das Kind zu kümmern. Eltern stellen also nicht nur „der Gesellschaft gewissermaßen das Personal zur Verfügung“[xii], indem sie Kinder bekommen und damit für das Nachwachsen jüngerer Generationen sorgen. Sie übernehmen darüber hinaus zu einem großen Teil die Nachwuchssicherung „nicht nur in einem biologisch-quantitativen, sondern auch in einem kulturell-qualitativen und mitmenschlichen Sinne“[xiii]. Als Beispiel für die qualitativen Implikationen von Elternschaft soll im Folgenden die elterliche Leistung der Sozialisation, Wertevermittlung und Erziehung in den Blick genommen werden.
Sozialisation, Wertevermittlung und Erziehung
Der Begriff der Sozialisation beschreibt den Prozess, in dessen Verlauf sich der mit biologischen Anlagen ausgestattete Organismus des Menschen zu einer sozial handlungsfähigen, mit einem individuellen Bewusstsein und Verständnis für soziale Normen ausgestatteten Persönlichkeit entwickelt. Dieser Prozess umfasst grundsätzlich das ganze Leben und beschränkt sich folglich nicht auf den privaten Raum der Familie, sondern vollzieht sich ebenso in sozialen Netzwerken, mit Freunden und Gleichaltrigen und in Institutionen des öffentlichen Lebens, wie dem Kindergarten, der Schule und schließlich dem beruflichen Umfeld. Auch der Einfluss der Massenmedien ist nicht zu unterschätzen.
Es gibt aber wesentliche Unterschiede in der Sozialisation durch öffentliche Einrichtungen und Medien und dem Sozialisationsgeschehen in der Familie. Der wichtigste besteht darin, dass die Sozialisationskontexte von Kindern im außerfamilialen Bereich durch eine hohe Fluktuation der relevanten Bezugspersonen gekennzeichnet sind. So wechseln die Nachbarn, Spielkameraden und Freunde beim Umzug der Familie, im Durchgang durch die Altersstufen des Kindergarten- und Schulsystems treffen die Kinder auf immer neue Erzieher und Lehrer, und auch hierbei ändert sich der Kreis der Gleichaltrigen. Besonders inkonsistent sind die über die Massenmedien, insbesondere das Fernsehen, vermittelten Einflüsse. Im Gegensatz dazu stellen die Eltern und Geschwister ein von den räumlichen und biografischen Veränderungen relativ unabhängiges Bezugssystem dar, das Kontinuität gewährleistet.
Die erste entscheidende Weichenstellung im Sozialisationsprozess ist die von positiven Emotionen getragene Bindungsbeziehung, die Eltern – abgesehen von der Ausnahme vernachlässigender oder psychisch kranker Väter und Mütter – während der ersten Lebensjahre zu ihrem Kind aufbauen. Um eine solche Beziehung erfolgreich zu entwickeln, sollte der Umgang der Eltern mit ihrem Kind geprägt sein von den Verhaltensmustern Responsivität und Wärme, das heißt, Eltern sollten zum einen angemessen und prompt auf kindliche Signale reagieren und in der Interaktion mit dem Kind zum anderen positive Emotionalität bekunden. Die Erfahrung verlässlicher, liebevoller Zuwendung im Kleinst-kindalter stellt die Basis dar, auf der die Grundhaltung des „sozialen Optimismus“ und die Lernbereitschaft in sozialer und kognitiver Hinsicht überhaupt erst entstehen können. Erst aufbauend auf dieser primären Sozialisationsphase, in der die emotionalen Fundamente der Persönlichkeit gelegt werden und für deren Gelingen in besonderer Weise die Eltern verantwortlich sind, können Kinder beginnen, bestimmte Dinge zu erlernen.[xiv]
Unbeschadet ihrer hohen Bedeutung am Beginn des Lebens spielen Mutter und Vater auch in den weiteren Phasen der kindlichen Sozialisation eine wichtige Rolle. Die Erfahrung der emotionalen Unterstützung durch die Eltern sowie die von Dauerhaftigkeit geprägte Beziehung zu ihnen lassen das Kind die menschliche Grundhaltung des Vertrauens entwickeln, zunächst im Sinne eines vertrauenden Erwartens der Regelmäßigkeit des Verhaltens anderer, sodann im Sinne eines Vertrauens in sich selbst und seine eigene Interaktionsfähigkeit. Im familialen Zusammenleben erfährt sich das Kind als in einer bestimmten Stellung verortet und beginnt, sich in Abgrenzung zu den Eltern und eventuell zu Geschwistern und Großeltern selbst als differenzierte Persönlichkeit zu entwickeln. Indem das Kind sich immer mehr mit seinen Bezugspersonen identifiziert, werden diese zunehmend zu Vorbildern seines sozialen Lernens. Durch Identifikation und Nachahmung der Menschen, die für sie von besonderer Bedeutung sind, entwickeln Kinder ihre grundlegenden Werthaltungen und ihre spezifische Moralität. Schließlich ist auch ihre Emotionalität als erwachsene Menschen in hohem Maße abhängig von den familialen Bedingungen ihres Heranwachsens.
So kommt insbesondere den Eltern auch bei der Ausbildung der Werteorientierung von Kindern und Jugendlichen eine wesentliche Rolle zu. Die Werte, Interessen und Neigungen der Eltern beeinflussen in vielfältiger Weise Richtung und Ausmaß der kulturellen Interessen ihrer Kinder. Aufgabe der Eltern mit Blick auf diesen Prozess ist es also, sich um „vorbildhaftes“, gleichwohl authentisches Verhalten sowie um eine positive Beziehungsqualität zu ihrem Kind zu bemühen, indem sie neben Konfliktmomenten, die im Erziehungsalltag unvermeidbar sind, spannungsfreie Situationen besonders pflegen, etwa gemeinsames Spielen und Sporttreiben, aber auch Routinen und Rituale wie beispielsweise gemeinsame Mahlzeiten. Angesichts der Tatsache, dass der Alltag von Kindern und Jugendlichen in immer stärkerem Maße verplant ist und sich auch die elterlichen Zeithaushalte verknappen, stellt die Pflege dieser Situationen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar.
Erziehung, als intentionale Einflussnahme der Eltern auf ihre Kinder, gilt als ein wichtiger Teilbereich des sozialisatorischen Handelns. Um diese erfolgreich leisten zu können, sind vielfältige Kompetenzen gefragt. Klaus Schneewind unterteilt diese in vier Klassen: Die selbstbezogenen Kompetenzen umfassen den Bereich des Wissens über die Entwicklung und den Umgang mit Kindern ebenso wie die Klärung eigener Wertvorstellungen und die eigene Gefühls-kontrolle. Die erforderlichen kindbezogenen Kompetenzen bestehen unter anderem darin, die kindlichen Entwicklungspotenziale zu erkennen und in altersangemessener Weise zu ihrer Verwirklichung beizutragen. Kontextbezogene Kompetenzen sind etwa notwendig, um zusammen mit Kindern entwicklungsförderliche Situationen aufzusuchen oder zu gestalten. Schließlich sollten Eltern über handlungsbezogene Kompetenzen verfügen, die es ihnen ermöglichen, in Übereinstimmung mit den eigenen Überzeugungen entschlossen und konsistent zu handeln, angekündigtes Handeln auch tatsächlich umzusetzen oder das eigene Handeln erfahrungsgeleitet zu ändern.
Schon an diesen knappen Ausführungen wird deutlich, dass Erziehung eine Kunst ist, die mit einer Vielzahl von Herausforderungen einhergeht, und dass auch das Bemühen um eine gelungene Sozialisation von Kindern viel Zeit und Einsatz erfordert. Zudem sind die Erwartungen an das Elternhaus von Seiten der Gesellschaft in den letzten Jahren mit Blick auf alle drei dargestellten elterlichen Aufgaben bzw. Leistungen gestiegen.
Grund dafür ist der Wissenszuwachs in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen. Dazu zählt der Gewinn neuer Erkenntnisse im Bereich der Medizin und der Neurobiologie, etwa über die Entwicklung des menschlichen Gehirns und darüber, wie diese – bereits während der Schwangerschaft – beeinflusst wird. So wird den Eltern bereits seit Anfang der 1970er Jahre, durch den Zugewinn neuer Erkenntnisse in jüngster Zeit aber immer differenzierter, vermittelt, dass das Gelingen der kognitiven und sozialen Entwicklung nicht einfach als Schicksal zu definieren sei, sondern dass Defizite in diesem Bereich ebenso auf elterliches Verhalten zurückgehen. Für die Eltern ergeben sich damit neue gesellschaftliche Forderungen, von der Empfehlung an die Mutter, den Säugling möglichst mehrere Monate lang zu stillen bis hin zu der Erwartung, dass die Eltern die schulischen Leistungen ihrer Kinder unterstützen usw.
Darüber hinaus erweitert die zunehmende Durchsetzung der „kindorientierten Pädagogik“ das Aufgabenprofil der Eltern, indem sie Erziehung in Form von Erklärungen und Diskussionen schlichten Ge- und Verboten vorzieht. Außerdem wurden gesundheitliche Vorsorgeuntersuchungen bis ins Schulalter der Kinder eingeführt, und es hat sich ein bewussteres Ernährungsverhalten durchgesetzt, das weiterzugeben ebenfalls von den Eltern erwartet wird. Schließlich hat auch die Verlängerung der Bildungs- und Ausbildungszeiten ebenso wie die Tendenz zu einer längeren Verweildauer im Elternhaus (Stichwort „Hotel Mama“) dazu geführt, dass die Leistungsanforderungen an die Eltern gestiegen sind, weil sie sich über eine größere Zeitdauer hinweg materiell und immateriell in die Pflicht genommen sehen.[xv]
Die Art und Weise, wie Kinder im Elternhaus sozialisiert werden, hat schließlich entscheidenden Einfluss darauf, welche soziale Rolle und Position sie als erwachsene Menschen in der Gesellschaft übernehmen. Das bedeutet, der Lebenserfolg eines Menschen hängt stark davon ab, welcher sozialen Schicht seine Herkunftsfamilie angehört und welche materiellen und immateriellen Ressourcen zur Förderung der kindlichen Leistungsentwicklung in dieser zur Verfügung stehen. Zwar kommt dem Bildungssystem eine vermittelnde Funktion bei der Statuszuweisung zu, indem es die herkunftsbedingten Vor- und Nachteile ausgleichen und Möglichkeiten für einen sozialen Aufstieg eröffnen soll. Nicht nur die PISA-Studien zeigen aber regelmäßig, dass die Bildungschancen von Kindern in Deutschland in hohem Maße an die soziale Herkunft der Familie gebunden sind.
Als erste Antwort auf dieses Faktum liegt freilich der Ruf danach nahe, die Qualität öffentlicher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu erhöhen, um Kindern mit schlechteren familiären Voraussetzungen eine individuellere Förderung gewähren und die familiale Reproduktion von Bildungsungleichheit besser kompensieren zu können. Insbesondere mit Blick auf die Kinderkrippen für unter Dreijährige ist dies ein in Politik und Gesellschaft häufig formuliertes und mehr oder weniger effektiv verfolgtes Ziel. Unbeschadet aber dieser sicherlich sinnvollen und wünschenswerten Forderung, kann der erwiesenermaßen starke Einfluss der Eltern auf die Bildungsgeschichte ihrer Kinder auch positiv gewürdigt werden: Er zeigt, dass die öffentlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, mögen sie qualitativ auch noch so gut sein, erst an zweiter Stelle bedeutsam sind. Die erste, entscheidende Bildungsverantwortung liegt bei den Eltern und wird in der Regel auch von ihnen übernommen, und zwar zum einen auf indirektem Weg durch die gemeinsame Bewältigung des Alltags und zum anderen durch direkte – oft mit einem beträchtlichen Einsatz finanzieller, zeitlicher und „nervlicher“ Art verbundene – Einflussnahme auf die „Kultivierung“ des Kindes.
Die Gemeinwohlrelevanz von Elternschaft
Dieser Aufsatz konnte und wollte nicht alle Leistungen aufzeigen, die Mütter und Väter für die Gesellschaft erbringen. Ziel war es vielmehr, anhand zweier Aspekte ein Bewusstsein für die Gemeinwohlrelevanz von Elternschaft mit ihren quantitativen und qualitativen Implikationen zu schaffen und der eingangs skizzierten negativen Haltung gegenüber Kindern und Eltern eine detaillierte Analyse entgegen zu halten. Keinesfalls sollte es darum gehen, kinderlose Menschen zu diskriminieren oder gar zu verurteilen. Gleichwohl war es das Anliegen, Argumente für eine Sichtweise aufzuzeigen, die die Entscheidung für oder gegen Kinder nicht als reine Privatsache definiert, sondern als eine, die die ganze Gesellschaft auf vielfältige Weise betrifft.
Zwar ist völlig klar: Die Lebensform der (bewussten) Kinderlosigkeit muss in einer freiheitlichen Gesellschaft wie der unseren jedem Einzelnen und allen Paaren offenstehen. Eine „Pflicht zur Vermehrung“ ließe sich weder moralisch noch rechtlich konstituieren und auch nicht administrativ wirksam machen. Tatsächlich soll jede und jeder in einer pluralen Gesellschaft so leben dürfen, wie es seinen persönlichen Vorstellungen vom guten Leben entspricht. Allerdings muss sie bzw. er bereit sein, die realen gesellschaftlichen Kosten zu sehen und zu tragen, die sein Lebensstil verursacht. Während zumeist kinderlose Autorinnen und Autoren in jüngster Zeit sehr selbstbewusst an die Öffentlichkeit gehen und sich dagegen wehren, ihre Lebensform aus sozialer Perspektive kritisch bewertet zu sehen (oder sie, wie Brunschweiger, gleich selbst positiv bewerten), werden junge Mütter und Väter mit Blick auf ihre Elternschaft selten politisch und machen diese öffentlich kaum als gesellschaftliche, selbstverständlich zu unterstützende Leistung geltend. Vielmehr hat eine Familie mit Kindern – insbesondere mit mehreren – nicht selten den Charakter und das Image eines aufwändigen Hobbys, das jede und jeder für sich selbst organisieren muss. Hier ist eine Schieflage entstanden, die es zu korrigieren gilt.
Natürlich entscheidet sich niemand aus Sorge um die Rentenversicherung für Kinder und die allermeisten Eltern haben, wenn sie ihren Nachwuchs nach bestem Wissen und Gewissen fördern und erziehen, wohl nicht als erstes die Gesellschaft, sondern ihr(e) Kind(er) und vielleicht sich selbst als Eltern und Familie im Blick. Dennoch leisten Mütter und Väter einen gesellschaftlich bedeutsamen Wertschöpfungsbeitrag, der auf andere Weise nicht oder nicht in vergleichbarer Qualität hergestellt werden kann. Sie übernehmen höchst an-spruchsvolle Aufgaben, die nicht selten mit erheblichen finanziellen, beruflichen und partnerschaftlichen Einschränkungen verbunden sind.
Dabei bleibt elterliches wie jedes menschliche Handeln immer unvollkommen. Nicht alle an Eltern gestellten Aufgaben werden von ihnen jederzeit hundertprozentig in die Tat umgesetzt. Und es gibt freilich auch Eltern, die der finanziellen und gesundheitlichen Versorgungspflicht für ihre Kinder nicht ausreichend nachkommen oder ihren Nachwuchs in anderer Hinsicht vernachlässigen. Dennoch ist davon auszugehen, dass die überwiegende Mehrheit der Eltern in Deutschland ihre Aufgabe ernst nimmt und versucht, diese in optimaler Weise zu erfüllen. Ein positives Bemühen der Eltern liegt allein deshalb nahe, weil die meisten Väter und Mütter selbst ein genuines Interesse daran haben, dass ihr eigener Nachwuchs „gelingt“. Den Erfolg des Kindes, sei es in schulischer oder in sozialer Hinsicht, sehen sie häufig auch als ihren eigenen an. Eltern möchten darüber hinaus, dass ihre Kinder weder körperlichen noch seelischen Schaden erleiden, dass sie sich vielmehr emotional wohlfühlen und Freude haben an den Dingen, die sie tun. Denn in aller Regel identifizieren sie sich stark mit ihrem Kind.
Gestörte Eltern-Kind-Beziehungen oder ihre Kinder bewusst vernachlässigende Väter und Mütter stellen dagegen einen Sonderfall dar und ändern nichts an der Tatsache, dass Eltern generell in der Beziehung zu ihren Kindern spezifische Aufgaben erfüllen. Sie sorgen nicht nur dafür, dass eine nachwachsende Generation heranwächst, sondern übernehmen eben auch, und zwar als Allererste Verantwortung dafür, wie diese Generation groß wird. Das „Dass“ und das „Wie“ von Elternschaft ist für die Gesellschaft gleichermaßen von Bedeutung.
Die Tatsache, dass eine alle Bürger berücksichtigende Alterssicherung in Deutschland nur zweckmäßig organisiert werden kann, wenn (genügend) Kinder geboren werden, müsste Grund genug dafür sein, dass Elternarbeit innerhalb des bestehenden Rentensystems finanziell angemessen berücksichtigt würde. Und die Erkenntnis, dass die Erziehung, Bildung und Sozialisation eines Kindes durch niemanden so entscheidend gestaltet und (in den meisten Fällen positiv) beeinflusst wird wie durch seine Mutter und seinen Vater, müsste dazu führen, dass Eltern und Familien von Seiten der Politik, der Wirtschaft und ihres sozialen Umfeldes alle zeitlichen und finanziellen Spielräume zugestanden würden, die sie brauchen, um diese Aufgaben zu erfüllen. Beides ist zurzeit noch bei weitem nicht der Fall. Wenn der vorliegende Beitrag gezeigt hat, dass der Einsatz dafür aber für alle Mitglieder der Gesellschaft lohnenswert wäre, hat er sein Ziel erreicht.
Anmerkungen
[i] Brunschweiger, Verena, Kinderfrei statt kinderlos. Ein Manifest, Marburg 2019.
[ii] Weitere Aspekte habe ich in meiner Dissertationsschrift beschrieben, welche die Grundlage für diesen Artikel bildet. Vgl. auch für detailliertere Literaturhinweise Zschiedrich, Elisabeth, Elternschaft und Gemeinwohl. Ein sozialethischer Beitrag zum demografischen Diskurs, Paderborn 2018.
[iii] Vgl. zur Organisation und Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland und auch zu den folgenden Ausführungen Althammer, Jörg/Lampert, Heinz, Lehrbuch der Sozialpolitik, 9., aktual. u. überarb. Aufl., Berlin 2014, 295f. sowie 450–454.
[iv] Vgl. u.a. Sinn, Hans-Werner, Das demographische Defizit. Die Fakten, die Folgen, die Ursachen und die Politikimplikationen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Demographie und Wohlstand. Neuer Stellenwert für Familie in Wirtschaft und Gesellschaft, Opladen 2003, 57–88, hier: 65; Das Jahr 2035 gilt als ein kritisches Jahr, weil dann die geburtenstarken 1960er-Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Zum Zusammenhang von Demografie und Rentenversicherung insgesamt vgl. Brosius-Gersdorf, Frauke, Demografischer Wandel und Familienförderung, Tübingen 2011, 49–63.
[v] Birg, Herwig, Die demographische Zeitenwende. Der Bevölkerungsrückgang in Deutschland und Europa, 4. Aufl., München 2005, 176f.
[vi] Vgl. Naber, Klaus, Reformnotwendigkeit der bedeutenden Alterssicherungssysteme in der Bundesrepublik Deutschland, unter Mitarbeit v. Reinhard Jacoby, Karlsruhe 2001, 113f.
[vii] Bofinger, Peter, Wie zukunftsfähig ist das Alterssicherungssystem in Deutschland?, in: Wirtschaftsdienst 79 (1999), 590–597, hier: 596.
[viii] Birg, a.a.O., 183f. Erforderlich wäre eine international breit gestreute Anlage der Beiträge, damit die Rentenfinanzierung nicht allein auf die nationale Wertschöpfung ausgerichtet ist. (Vgl. Naber, a.a.O, 149.) Allerdings wäre eine solche Streuung eben nicht ohne Risiko. (Vgl. ebd., 150.)
[ix] Vgl. Althammer/Lampert, a.a.O., 452f.
[x] Vgl. Brosius-Gersdorf, a.a.O., 63.
[xi] Vgl. Hagist, Christian/Moog, Stefan/Raffelhüschen, Bernd, Die fiskalische Nachhaltigkeit der Zuwanderung in Deutschland. Eine Analyse anhand der Generationenbilanzierung, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Band 60, Heft 1, Seiten 24–47, hier: 31.
[xii] Burkart, Günter, Familiensoziologie, Konstanz 2008, 153.
[xiii] Kaufmann, Franz-Xaver, Ehe und Familie zwischen kultureller Normierung und gesellschaftlicher Bedingtheit, in: Anton Rauscher (Hrsg.), Handbuch der Katholischen Soziallehre, hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft und der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle und in Verbindung mit Jörg Althammer, Wolfgang Bergsdorf und Otto Depenheuer, Berlin 2008, 257–272, hier: 258.
[xiv] Vgl. auch zum Folgenden Schneewind, Klaus A., Sozialisation in der Familie, in: Klaus Hurrelmann/Matthias Grundmann/Sabine Walper (Hrsg.), Handbuch Sozialisationsforschung, 7., vollst. überarb. Aufl., Weinheim/Basel 2008, 256–273, hier: 260ff sowie Kaufmann, Franz-Xaver, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, München 1995, 38ff.
[xv] Vgl. Burkart, a.a.O., 145 sowie auch zum Folgenden Nave-Herz, Rosemarie, Ehe- und Familiensoziologie. Eine Einführung in Geschichte, theoretische Ansätze und empirische Befunde, 3. Aufl., Weinheim/München 2013, 89f.
Die Verfasserin
Dr. Elisabeth Zschiedrich ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Christliche Gesellschaftslehre der Universität Freiburg im Breisgau.