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Jonas Hagedorn | Januar 2024

Weltwirtschaftliche Entflechtung

Eine sozialethische Perspektive

1.  Einleitung: Entflechtung und Verflechtung als korrespondierende Prozesse

Im Zentrum des vorliegenden Beitrags[1] steht ein paradoxer Befund. Der Titel enthält den Begriff Weltwirtschaft, der für internationale Arbeitsteilung und grenzüberschreitende Logistik, globale Wertschöpfungsketten und Finanztransaktionen – mit anderen Worten: die Gesamtheit weltweiter Wirtschaftsbeziehungen – steht sowie auf die hochgradige Verflochtenheit einzelner Volkswirtschaften und Abhängigkeiten von Telekommunikationsnetzen wie SWIFT[2] verweist. Im Titel ist Weltwirtschaft mit einem gegenläufigen Prozess der Entflechtung zusammengeführt. Entflechtung wird nicht erst seit der COVID-19-Pandemie und noch einmal verstärkt seit dem russischen Angriffskrieg in Wissenschaft, Wirtschaft und politischer Öffentlichkeit debattiert; vielmehr ist sie seit dem Entstehen alter und neuer konkurrierender Blöcke der US-amerikanischen und der chinesischen Einflusssphäre und spätestens seit der Neuausrichtung der US-Handelspolitik unter Donald Trump wieder zum politischen Thema geworden.

Treiber der Einführung hoher Zölle – selbst bei Einfuhren aus ‚befreundeten‘ Staaten –, der Aufkündigung multilateraler Partnerschaften und der weiteren Schwächung internationaler Organisationen[3] sind (wie auch beim Brexit) konservative Kräfte.[4] Unter dem Vorzeichen eines neuen wirtschaftlichen Nationalismus scheinen sie die Abkehr von einer neoliberalen Globalisierung anzustreben, an der vormals progressive Kräfte dezidiert Kritik geübt hatten.

Seit der Geburtsstunde der Globalisierung im 16. Jahrhundert waren grenzüberschreitende wirtschaftliche Verflechtungen dem Puls von Expansion (zunehmender Verflechtung) und Rücknahme (abschottender Entflechtung) ausgesetzt.[5] Seit den 1970er-Jahren nahm die Bedeutung des Außenhandels erheblich zu. Die damit verbundene Verflechtung mündete nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Öffnung der Volksrepublik China in eine Phase vertiefter Globalisierung, die von enorm beschleunigten und verdichteten weltweiten Austausch- und Dependenzprozessen geprägt ist.

Welche empirische Triftigkeit die Rede von Entflechtung heute hat, ist schwierig einzuschätzen. Seit Trumps Präsidentschaft und dem Beginn des Handelskrieges zwischen den USA und China sank das US-Handelsdefizit gegenüber China von 47 Prozent (2018) auf 32 Prozent (2022). Dagegen wuchs es gegenüber den NAFTA-Mitgliedstaaten Kanada und Mexiko sowie gegenüber Indien, Irland, Südkorea und Taiwan.[6] Handelsströme mit anderen Ländern wurden wichtiger. Entsprechend bilden ökonomische Entflechtung und Verflechtung korrespondierende Prozesse, die politisch aufgeladen sind.

Angesichts der jüngsten Ereignisse fordern politische Entscheidungs-
träger:innen dominanter Staaten, die weltweit wirtschaftliche Verflechtungen vorantrieben und sich selbst wenig um ausgeglichene Handelssalden scherten, die globalen Lieferketten radikal zu überdenken und neu auszurichten. Vor allem China ist im Fokus: ein Land, dessen autoritäre Gesellschaftsordnung in kurzer Zeit zur angsteinflößenden Konkurrenz des sich lange Zeit überlegen fühlenden sogenannten Westens wurde. 2001 war China der Welthandelsorganisation beigetreten und hatte in den Folgejahren einen beispielslosen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt.[7] Entgegen der Erwartung[8] bildete der wirtschaftliche Aufschwung aber keinen „politischen Zaubertrank für Demokratie“[9]; diese Annahme hatte der US-amerikanische Journalist James Mann früh als unrealistisch eingestuft. Auch Herfried Münkler betont, die Vorstellung, „dass mit der Marktöffnung durch Deng Xiaoping die Chinesen sich auch mental europäisieren“, habe sich nicht bewahrheitet – „im Gegenteil, China ist sogar noch illiberaler geworden. Wir müssen damit klarkommen, dass unsere Werte nur in unseren Räumen gelten. Damit hat man ja innerhalb der EU oder im Nato-Raum […] schon genug zu tun.“[10]

Der Krieg in der Ukraine und die eingestellten russischen Energielieferungen führten auch in Deutschland dazu, die wirtschaftlichen Verflechtungen nicht nur mit Russland,[11] sondern auch mit China auf den Prüfstand zu stellen. Die aus der Brandt’schen Ostpolitik abgeleitete Maxime „Wandel durch Handel“, die seit Ende der 1960er-Jahre die Außenpolitik der deutschen Regierungen darauf ausrichtete, über ökonomische Verflechtungen gesellschaftliche und politische Transformationsprozesse anzustoßen, wurde von führenden Politiker:innen revidiert. „[D]ie außenpolitische Philosophie, dass der Wandel durch Handel stattfindet“, trage, so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, „im Umgang mit Autokratien nicht“. Die Hoffnung, dass sich durch wirtschaftliche Beziehungen „politisch die Dinge automatisch zum Besseren wenden, die trügt.“ Zwar bleibe Deutschland „ein besonderes Land“, da „[w]ir […] extrem rohstoffarm […], aber mit unseren Produkten eben auch in nahezu allen Märkten der Welt präsent [sind]. Zugespitzt könnte man sagen: Eigentlich leben wir von Abhängigkeiten.“[12] Angesichts dieser Abhängigkeiten und der offenen Frage des Umgangs von Demokratien mit autokratischen Staaten wurde in Deutschland und anderen Ländern auch eine Zeitenwende in Außenhandel und weltwirtschaftlicher Verflechtung diskutiert.

Im Folgenden werde ich auf fünf Varianten der Entflechtung eingehen, indem ich erkläre, was unter den verwendeten Begriffen von Decoupling bis Derisking verstanden wird (à 2). Dabei muss ich die klimapolitischen und
-ökonomischen Debatten um Deglobalisierung und Kreislaufwirtschaft ausklammern, auch wenn diese von einer geopolitischen Perspektive nicht zu trennen sind.[13] In zwei weiteren Schritten thematisiere ich kurz den Mythos vom friedlichen Handel (à 3) und die friedensethische Wende zur Lehre vom gerechten Frieden (à 4). Abschließend wird eine sozialethische Perspektive auf einige Inhalte der Debatten um weltwirtschaftliche Entflechtung skizziert (à 5).

2.  Varianten der Entflechtung

Entflechtung wird auf unterschiedliche Weise debattiert. Decoupling als komplette wirtschaftliche Entkopplung fokussiert in erster Linie das Land oder die Länder, von denen sich ein anderer Staat wirtschaftlich unabhängig machen will. Unter dieser Art der Entflechtung wird also die präventive Rücknahme von grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Verflechtungen mit bestimmten Ländern und deren Ökonomien verstanden. Diese Entflechtung kann sich als Reshoring vollziehen, d. h., sie kann einer Strategie der Verlagerung von Wertschöpfungsketten folgen, die auf quasi-wirtschaftsautarken Vorstellungen basiert. Unternehmen sollen ihre Produktionsstandorte aus bestimmten Ländern rückverlagern und an ‚sicheren‘ Standorten (tunlichst im eigenen Land) wiederaufbauen (womöglich zu prohibitiv hohen Kosten). Dies betrifft in den Debatten besonders die Produktion strategischer Güter, die als zentrale Komponenten in weiteren Wertschöpfungsprozessen und Infrastrukturen nationaler Sicherheit Verwendung finden, z. B. Halbleiter. Für diese Art Güter und für wichtige Rohstoffe, auf die die heimische Wirtschaft angewiesen ist, sollen neue verlässliche Lieferanten in der eigenen Einflusssphäre gefunden werden. Diese Entkoppelung muss aber nicht notwendig die Rückverlagerung der Wertschöpfungsketten in den nationalstaatlichen Rahmen bedeuten (d. i. Reshoring im engen Sinne), sondern sie kann weitergefasst als Aufbau von Produktionskapazitäten und Absatzmärkten in den Nachbarstaaten oder in regionalen und kontinentalen Verbünden (z. B. EU oder NAFTA) verstanden werden. Kurze Lieferketten im Nahbereich sollen es richten. Diese Strategie wird Nearshoring genannt.

Angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine prägte die amtierende US-Finanzministerin Janet Yellen zudem den Begriff des Friend-
shoring
. Damit ist die auch auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2023 diskutierte Stärkung der Handelsbeziehungen zwischen ‚gleichgesinnten‘ Staaten des Westens gemeint. „[F]riendshoring means […] that we have a group of countries that have strong adherence to a set of norms and values about how to operate in the global economy and about how to run the global economic system, and we need to deepen our ties with those partners and to work together.“[14] Mike Pompeo, ehemaliger Außenminister in der Trump-Regierung, führte aus, dass man Seltene Erden schließlich nicht nur in China finde. „Es gibt sie überall auf der Welt, auch in Ländern, die unsere Verbündeten und Partner sind. Und zwischen diesen verschiedenen Nationen können wir durchaus eine Versorgungskette aufbauen, die die Sicherheitsinteressen derer widerspiegelt, die an Eigentumsrechte, Menschenwürde und all die Werte glauben, die eine erfolgreiche Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg ausgemacht haben.“[15]

Eine weitere Strategie der Entflechtung firmiert unter Derisking. Sie bedeutet eine kontrollierte Ent- und Verflechtung, die Risiken diversifiziert, ohne Wirtschaftsbeziehungen und Kontakte auch zu autokratischen Staaten und Ländern, die als Gegner auftreten, vollständig abzubrechen. Dabei geht es darum, „nicht wirtschaftliche Interdependenz per se, sondern die eigene Verletzlichkeit zu reduzieren.“[16] Wie desaströs eine Entkopplung von China wirken würde, ist Yellen durchaus bewusst. „De-risk? Yes. Decouple? Absolutely not“,[17] lautet ihre Devise.

3.  Der Mythos vom friedlichen Handel

Die allzu optimistische Annahme, dass grenzüberschreitender Handel für alle betroffenen Länder und Bevölkerungen gleichermaßen Wohlfahrt stiftet und Frieden sichert, geht zurück auf David Ricardo (1772-1823) und Immanuel Kant (1724-1804). Während der eine komparative Vorteile in den Produktionsprozessen hervorhob, die alle besserstellen würden, akzentuierte der andere den „Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt. Weil nämlich unter allen, der Staatsmacht untergeordneten, Mächten (Mitteln) die Geldmacht wohl die zuverlässigste sein möchte, so sehen sich Staaten (freilich wohl nicht eben durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu befördern, und, wo auch immer in der Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch Vermittelungen abzuwehren […].“[18] Dabei wurden jedoch die destruktiven Kräfte ungleicher kapitalistischer Entwicklung eklatant unterschätzt. Denn allein schon „die Dynamik zwischen Gewinnern und Verlierern im Marktgeschehen“ entziehe, so Christoph Scherrer, „der Behauptung vom friedlichen Handel die Grundlage.“[19] Innerhalb eines funktionierenden Wohlfahrtsstaates ließen sich die mit dieser Dynamik[20] einhergehenden Konflikte vielleicht noch moderieren, indem die Verlierer für ihre Verluste entschädigt würden. Mangelt es an wohlfahrtsstaatlichen Institutionen, entlädt sich die Frustration hingegen nicht selten in Form von Gewalt. „Für den zwischenstaatlichen Bereich gilt dies erst recht.“[21]

Ein weiterer Aspekt: Dank der Arbeiten von Henry Farrell und Abraham L. Newman werden Telekommunikationsnetze wie SWIFT, aber auch andere technologische Knotenpunkte (choke points) als „Waffen“ erkannt, die von Akteuren gezielt eingesetzt werden und geopolitisch zum Tragen kommen. Über viele der choke points werden Finanztransaktionen abgewickelt und quasi-monopolistisch Wirtschaftsbeziehungen weltweit koordiniert. Es charakterisiert choke points, dass sie auf beispiellose Weise von Skaleneffekten profitieren und in einigen Fällen einen alleinigen oder zumindest privilegierten Zugang zu Informationen aufweisen.[22] Die Diskussionen um Huawei[23] und das global dominante Informationssystem SWIFT deuten die Richtung der Auseinandersetzungen um hegemoniale Macht an.

Zum politischen Instrumentenkasten zählen zudem handels-, finanz- und währungspolitische Sanktionen, die einen „War by Other Means“[24] (Krieg mit anderen Mitteln) anzeigen. Dabei können wirtschaftliche Sanktionen nur verhängt werden oder Sanktionsdrohungen nur Drohpotenzial entfalten, wenn ausgeprägte wirtschaftliche Verflechtungen zwischen den betroffenen Ländern bestehen. In jüngster Vergangenheit ist eine deutliche Zunahme von Handelssanktionen festzustellen.[25] Ihre Anwendung ist zur normalisierten Gepflogenheit geworden, wobei verhängte Sanktionen immer auch eine Signalwirkung auf andere (noch nicht von Sanktionen betroffene) Staaten haben. Die Welt ist – ‚mit anderen Mitteln‘ – kriegerischer geworden. Die systemischen Rivalen scheinen sich nicht mehr als Teil eines Positivsummen-, sondern eines Null-, vielleicht in Zukunft sogar eines Negativsummenspiels zu verstehen – was die Aussicht auf friedlichen Handel gänzlich unplausibel werden lassen könnte.

4.  Die Lehre vom gerechten Frieden

Die Forderung nach einer gerechten weltwirtschaftlichen Verflechtung ist ein Thema, das die beiden großen Kirchen in Deutschland seit ihrer Umstellung der Lehre vom gerechten Krieg auf die Lehre vom gerechten Frieden beschäftigt. Letztere gipfelte in den Veröffentlichungen Gerechter Friede (DBK 2000) und Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen (EKD 2007), in denen – in Kontinuität zu den friedensethischen Entwicklungen seit den 1980er-Jahren – Frieden in seiner Verwiesenheit auf soziale Gerechtigkeit ein zentraler Fokus ist: Si vis pacem para pacem. Beim Vorrang der Gewaltprävention und der zivilen Konfliktbearbeitung spielt auch die weltwirtschaftliche Verflechtung eine wichtige Rolle. So plädiert z. B. Gerechter Friede „für eine Integration aller Länder in die internationale Arbeitsteilung und für Abkommen, die auch den armen Staaten tatsächlich einen Marktzugang ermöglichen“, ohne dass dabei hegemoniale Praktiken angewendet werden, die die ökonomisch schwächeren Länder auf den für sie „wichtigen Märkten […] behindern und benachteiligen“ (DBK 2000, 54 [Nr. 93]).

Statt weltweit – zwischen den Großmächten und ökonomisch entwickelten Ländern, aber auch zu den sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern – wirtschaftliche Beziehungen aufzubauen, die für alle Seiten faire Kooperationen fördern und sich damit um eine transparente wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu bemühen, setzen jedoch auch die wirtschaftsstarken westlichen Staaten auf asymmetrische Verflechtungen, die für sie selbst wesentlich günstiger sind als für die anderen Länder. „Solche extrem asymmetrischen Verflechtungen sind hochproblematisch“, wie Nicole Deitelhoff konstatiert, „weil sie kein Interesse an Kooperation erzeugen oder stabilisieren, sondern an Dominanz.“[26]

Für eine nachhaltige Friedensordnung oder die Wiedergewinnung einer solchen dürfte die Idee ausgewogener wirtschaftlicher Interdependenz und kooperativer Sicherheit zentral sein – verbunden mit dem Auf- und Ausbau internationaler Institutionen, die Konflikte moderieren und Verlierer kompensieren können. Das Konzept der Friedensförderung durch wechselseitige Verflechtung setzt darauf, dass (potenziell) kriegstreibende Staaten, die das Völkerrecht brechen (oder brechen könnten), massiv sanktioniert werden (können). Wenn bei fortgeschrittener Entflechtung die Karte möglicher Sanktionen nicht mehr gezogen werden kann, bliebe im Fall der Fälle – neben politischer Isolation – als direkte Reaktion nur noch eine militärische Antwort übrig. Wer der Entflechtung das Wort redet, muss sich mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Krieg ‚mit herkömmlichen Mitteln‘ rüsten.

5.  Entflechtung entpflichtet? Sozialethische Anmerkungen

Wie kann eine sozialethische Herangehensweise die Inhalte der Debatten um weltwirtschaftliche Entflechtung einordnen? Zunächst einmal ist Ethik die Reflexionsinstanz, die Aussagen überprüft, die etwas als gesollt – d. h. als richtig, sozial klug oder gut – markieren. Wenn sich diese Aussagen nicht primär auf individuelle Handlungsweisen richten, sondern auf die Ordnung sozialer Beziehungen und gesellschaftlicher Verhältnisse sowie auf ihre in normativer Hinsicht vorzugswürdige Beschaffenheit, dann bewegen wir uns im Feld der Sozialethik. Mit Blick auf das zu behandelnde Thema kann die ethiktreibende Person drei Stränge ethischer oder normativer Argumente unterscheiden: 1.) deontologisch-moralische Argumente, 2.) konsequentialistisch-wohlfahrtsorientierte Argumente und 3.) kulturell-partikulare Argumente.[27]

Den ersten Typ der Argumente kennzeichnen rechtebasierte und kontraktualistische Ansätze. Richtig ist allein das, was – nach Prüfung widerspruchsfreier Verallgemeinerbarkeit – das autonome moralische Subjekt sich selbst auferlegt. In der kontraktualistischen Tradition John Rawls’ können diejenigen Verfassungsgrundsätze als gerecht gelten, denen alle (voll kooperationsfähigen) Bürger:innen unter einem Schleier des Nichtwisssens zustimmen können, also ohne zu wissen, welche sozialen Positionen sie in der Gesellschaft wirklich einnehmen.

Die Argumente des zweiten Typs sind dem Konsequentialismus als einem Theorienbündel zuzuordnen, das die normativen Gründe oder Pflichten nicht durch Überlegungen menschlicher Würde oder Rechte, sondern durch evaluative Erwägungen rechtfertigt. Der Grundgedanke ist, dass Maßnahmen und Vorgaben von Institutionen daran gemessen werden, ob sie – in Relation zu den Konsequenzen alternativer institutioneller Arrangements – die bestmöglichen Folgen zeitigen. Das Ergebnis entscheidet über die normative Vorzugswürdigkeit einer Ordnung. Rechtebasierte Überlegungen, unhintergehbare Ansprüche einzelner treten dabei in den Hintergrund.[28]

Der dritte Typ der Argumente zählt zur großen Welt normativer Positionen, in denen substanzielle kulturell-partikulare Vorstellungen des Guten herangezogen werden (die nicht ohne Weiteres verallgemeinerungsfähig sind und deren universale Gültigkeit fraglich bleibt), um die Ausgestaltung von Institutionen zu legitimieren. Dennoch können kulturell-partikulare Argumente innerhalb einer Gesellschaft hohe Plausibilität entfalten; und sie tauchen im politischen Diskurs regelmäßig auf. Ein integraler sozialethischer Ansatz geht davon aus, dass in der Regel alle drei Ethikstränge zu beachten sind und dass jeder der drei Stränge über die normative Vorzugswürdigkeit einer Ordnung zumindest partiell mitbestimmt.

Dominanz nationalstaatlich kurzgeschlossener konsequentialistischer Argumente und kulturell-partikularer Argumente

Angesichts des Krieges in der Ukraine bzw. der grassierenden Kriege und Gefährdungslagen weltweit sind spätestens seit 2022 geopolitische Interessen unterschiedlicher Staaten und gesellschaftliche Vulnerabilitäten aufgrund weltwirtschaftlicher Interdependenzen vermehrt in den Fokus der politischen Öffentlichkeit geraten. Mit Folgen: So werden neue bilaterale Wirtschaftspartnerschaften (z. B. zwischen Brasilien und Deutschland) abgeschlossen und Handelsabkommen von Staatengemeinschaften forciert (u. a. zwischen der EU und dem Mercosur).

Mit Blick auf die Debatten um Ent- und Verflechtungsprozesse fällt auf, dass – aus der Perspektive des Westens – wirtschaftliche und politische Argumente einzelgesellschaftlicher Versorgungssicherheit (bezüglich sensibler, nicht sofort substituierbarer Güter) und nationaler Sicherheit sowie geopolitische Argumente der Stärkung verlässlicher Bündnisse und der strategischen Schwächung gegnerischer Machtblöcke im Vordergrund stehen. Bestimmte Staaten – in tatsächlicher oder vermeintlicher Gegenposition zu den Wertegemeinschaften des Westens – werden (rhetorisch) als nicht-(mehr-)verlässliche Partner erachtet und der eigenen Verflechtungssphäre verwiesen.

Normativ scheinen gegenwärtig nationalstaatlich kurzgeschlossene konsequentialistisch-wohlfahrtsorientierte Argumente und kulturell-partikulare Argumente zu dominieren. Wohlfahrtsorientierte Vorteilserwägungen beziehen sich dabei zumeist auf die einzelgesellschaftliche Wohlfahrt eines Landes und seiner Bevölkerung – nach dem Motto: ‚Wir verflechten uns neu, auf dass die nationale Versorgungssicherheit bei bestimmten Gütern für die größte Zahl unserer Gesellschaftsmitglieder (am kostengünstigsten etc.) gewahrt wird.‘

Janet Yellens Votum für ein „starkes Festhalten an einer Reihe von Normen und Werten, die darüber bestimmen, wie die globale Wirtschaft läuft“, und Mike Pompeos Plädoyer für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen denjenigen Nationen, die erstens an „Eigentumsrechte“ sowie zweitens an „Menschenwürde und all die Werte glauben, die eine erfolgreiche Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg ausgemacht haben“, füllen das Tableau normativer Positionen, die – so meine These – stärker kulturell-partikularen, wertegemeinschaftlichen Positionen ähneln, als dass sie den Anschein erwecken könnten (von Pompeos oberflächlichen Nennungen der Eigentumsrechte und Menschenwürde einmal abgesehen), von universellen Normen substanziell eingefärbt zu sein.[29] Das Motto ist hier: ‚Wir verflechten uns neu nach Maßgabe kulturell-partikularer Werteähnlichkeiten, auf dass wir unsere Vorstellungen vom guten Zusammenleben in der westlichen Hemisphäre sichern.‘

Bei aller Vorläufigkeit der Debattenlage zur weltwirtschaftlichen Entflechtung ist eine Dominanz (ihres universalistischen Anspruchs weitgehend entkernter) konsequentialistischer und kulturell-partikularer normativer Positionen zu beobachten. Auch Überlegungen der Friedens- und Konfliktforschung fallen darunter; es wird beispielsweise dafür argumentiert, die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Ländern so zu gestalten, dass auch autokratische Regime bei einem Krieg etwas zu verlieren haben, weil ihnen desaströse Wohlfahrtseinbußen drohen. Garanten des Friedens sind zunächst nicht Qualität und Fairness weltwirtschaftlicher Beziehungen (orientiert an der Sicherstellung menschenrechtlicher Standards für alle), sondern Quantität und Tiefe (möglichst asymmetrischer) ökonomischer Verflechtungen, die – aus der Sicht des Westens – den Expansionsdrang von Autokratien zügeln und die eigene Einflusssphäre sichern sollen. Dabei dürfte die Rede vom liberal-demokratischen Westen jede Menge kulturell-partikulare Vorstellungen des Guten implizieren, die als ‚universal gültig‘ ausgegeben werden und eine Wertegemeinschaft konstruieren – mit einend-disziplinierender Wirkung auf die Gesellschaften, die dazu gehören wollen, und mit distanzierender Wirkung auf die Gesellschaften, die nicht dazu gehören sollen. Diese Positionen stehen eigentümlich quer zu den rechtebasierten Ansätzen, mit denen der Westen – seinem eigenen Selbstverständnis nach – eigentlich aufwarten will und muss. Ein nationalstaatlich kurzgeschlossener konsequentialistischer und kulturell-partikularer Ausdruck allein steht ihm nicht gut zu Gesicht.

Restitutive Pflichten

Wie verhält es sich in diesem Kontext nun aber mit rechtebasiert-moralischen Argumenten, die auf die Qualität und Fairness der grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen und wirtschaftlichen Kooperation abheben? In den zurückliegenden drei Jahrzehnten nahm eine internationale Debatte um positive und negative Pflichten Fahrt auf, die vom untragbaren Zustand der Armut in der Welt und von der als ungerecht ausgewiesenen Wirtschaftsordnung ausging. Debattiert wurden die individuelle Verstrickung in und Verursachung von Armutslagen, die Adressierung von Verantwortung, daraus resultierende Verpflichtungen und soziale Schuldigkeit über nationalstaatliche Grenzen hinweg.[30] Sozialethisch ist die Frage, welche Verpflichtungen Menschen in wohlhabenden Gesellschaften des Westens gegenüber Menschen in ökonomisch weniger privilegierten Gesellschaften zukommen, auch mit Blick auf die Gestaltung weltwirtschaftlicher Ent- und Verflechtung anregend.

Zu den Erträgen der angesprochenen Debatte zählt die Einsicht, dass Mitverursachung oder das aktive Beitragen einzelner zu den ungerecht-vorteilnehmenden Strukturen des Welthandels in komplexen Verflechtungszusammenhängen kaum nachweisbar ist. Plausibel erscheint dagegen die Erkenntnis, dass Menschen in wohlhabenden Gesellschaften – ob sie wollen oder nicht – Profiteure solcher ungerecht-vorteilnehmenden Strukturen waren und sind und dass sie deshalb zur Behebung von Unrecht und zur fairen Lastenteilung zu verpflichten sind. Barbara Bleisch und Norbert Anwander argumentierten dafür, neben negativen Pflichten der Nichtschädigung, die, wenn sie verletzt werden, Wiedergutmachung erfordern und damit mit korrektiven Pflichten einhergehen, und neben positiven Hilfspflichten ein weiteres Pflichtenbündel zu implementieren: das der restitutiven Pflichten. Dabei handelt es sich um Pflichten, die gerade daraus resultieren, dass Bürger:innen in wohlhabenden Gesellschaften zumindest teilweise den Wohlstand und ihr Wohlergehen einer Ordnung ungerechtfertigter Bereicherung verdanken, also einer Ordnung, die Gewinne begünstigt, die ihnen fairerweise nicht zustehen. Daher verlangen die gegenüber den Opfern dieser Ordnung bestehenden Restitutionspflichten „von uns, Gewinne, auf die wir keinen Anspruch haben, an die Opfer des Unrechts zurückzugeben bzw. diese Gewinne zur Behebung des Unrechts einzusetzen.“[31] Quantifizieren lassen sich die restitutiven Pflichten kaum, aber sie bilden zumindest ein starkes Argument für grenzüberschreitende Kompensationsleistungen vom ökonomisch starken Land A zum ökonomisch schwächeren Land B. Wenn Land B aber zu den Ländern zählt, von denen man unabhängiger werden will, dann wird prinzipiell auch der Radius geringer, in dem korrektive und restitutive Pflichten zur Anwendung kommen könnten. Man geht womöglich zu einem Land auf Abstand (zumindest ist dies kein ausgeschlossenes Entflechtungsszenario), dem gegenüber man sozial schuldig oder ausgleichspflichtig ist.

Woran Solidaritätsüberlegungen und rechtebasierte Argumente erinnern

Auf dem Hintergrund katholischer Solidaritätsüberlegungen sind restitutive Pflichten hochgradig anschlussfähig. Das Solidaritätsverständnis, das in der kirchlichen Soziallehre und im Fach Christliche Sozialethik zu einigem Einfluss gelangte, beruhte zunächst auf den vor allem von Auguste Comte und Émile Durkheim formulierten soziologischen Entdeckungen faktischer Verwiesenheiten und wechselseitiger Abhängigkeiten in Gestalt hocharbeitsteiliger Prozesse innerhalb einer Gesellschaft. Diese wurden dann von Autoren wie Charles Gide und Léon Bourgeois mit dem Begriff der solidarité weiter theoretisiert und politisiert und von Heinrich Pesch SJ – unter neuscholastischen Vorzeichen – in die katholische Soziallehre eingeführt.[32] Zunehmende, nationale Grenzen überschreitende Arbeitsteilung, die moderne, ausdifferenzierte Gegenwartsgesellschaften prägt, kann auch heute noch eine der Grundlagen bilden, um die faktischen Solidaritätsverhältnisse angemessen zu verstehen, in die der ‚moderne Mensch‘ unwiederbringlich eingebunden ist. Zu den politischen Antworten auf die Offenlegung dieser faktischen Solidaritäten zählt die Schaffung belastbarer und politisch institutionalisierter Formen einer bewussten und politisch-moralisch gewollten Solidarität, die sich über Ländergrenzen hinweg im Völkerrecht und in bilateralen Handelsabkommen ebenso niederschlagen kann wie in der Neuausrichtung der Welthandelsorganisation oder in Reglements eines fairen Lastenausgleichs auf Basis restitutiver Pflichten.

Dynamiken, die zwischenstaatlich extrem ungleichen Lebenslagen Vorschub leisten, die machtasymmetrisch aufgeladen sind und illegitime Bereicherung begünstigen, ist institutionell entgegenzutreten. So unsympathisch und wenig vertrauenswürdig die politischen Führungen bestimmter Länder auch sein mögen, deontologisch-moralische bzw. rechtebasierte Argumente können auch in den Debatten um weltwirtschaftliche Entflechtung daran erinnern, dass die Bessergestellten – aufgrund struktureller Vorteilsnahmen und sozialer Schuldigkeit – gegenüber jedem einzelnen Mitglied der eigenen Gesellschaft und anderer Gesellschaften zu Wiedergutmachung verpflichtet sind, auf dass alle Menschen ein Leben haben, das menschenrechtliche Standards nicht unterschreitet.

Anmerkungen

 

[1]    Ich danke Hermann-Josef Große Kracht, Matthias Kalkuhl, Christian Weidemann und Joachim Wiemeyer für kritische Durchsicht und wichtige Hinweise.

[2]    Das Akronym SWIFT steht für Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication. Dabei handelt es sich um einen Dienstleister (mit Sitz in Belgien), der den Nachrichtenverkehr der Finanzinstitute weltweit standardisiert. Bei vier von fünf Transaktionen im internationalen Zahlungsverkehr ist das SWIFT-System beteiligt. Es zählt zu den entscheidenden Knotenpunkten (choke points) im Netzwerk der Weltwirtschaft, die im Kampf um hegemoniale Macht eine Rolle spielen.

[3]    Die Krise des Multilateralismus ist, so bemerkte Gabriel Felbermayr, aber nicht nur eine Folge des neuen wirtschaftlichen Nationalismus. Vielmehr habe „die Dysfunktionalität der WTO […] den Aufstieg der neuen nationalen Rechten […] ermöglicht. Es ist aber auch klar, dass der aggressive ökonomische Nationalismus das Vertrauen in multilaterale Abkommen weiter untergräbt und die Lähmung der WTO verstärkt. Die Weltgemeinschaft ist dadurch um ein Forum für Diskussionen und Streitbeilegung ärmer“ (Felbermayr, G. [2019]: 25 Jahre WTO – Ursachen des Zerfalls und Reformvorschläge für die Zukunft, in: Kiel Focus 12/2019). In seinem jüngsten Apostolischen Schreiben Laudate Deum hebt Papst Franziskus erneut die Bedeutung eines neu gestalteten Multilateralismus hervor – basierend auf „wirksameren Weltorganisationen […], die mit der Autorität ausgestattet sind, das weltweite Gemeinwohl, die Beseitigung von Hunger und Elend sowie die wirksame Verteidigung der Menschenrechte zu gewährleisten.“ Dies würde, so der Papst weiter, „zu einem Multilateralismus führen, der nicht von wechselnden politischen Umständen oder den Interessen einiger weniger abhängt und der eine stabile Wirksamkeit hat“ (Papst Franziskus [2023]: Apostolisches Schreiben Laudate Deum an alle Menschen guten Willens über die Klimakrise. Hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn [Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 238], S. 21 [Nr. 35]).

[4]    Vgl. Scherrer, C. (2022): Krieg und Abschottung: Das Ende der Globalisierung?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 6/2022, S. 83-89, hier: S. 83.

[5]    Vgl. Scherrer: Krieg und Abschottung, S. 84.

[6]    Vgl. Roach, S. S. (2023): Gastbeitrag zur Handelspolitik: Eine Abkoppelung von China schadet den USA wirtschaftlich, in: WirtschaftsWoche v. 31.07.2023.

[7]    Zur disparaten Entwicklung der Einkommensverhältnisse und Lebenslagen in urbanen Zentren und ländlichen Regionen in China vgl. Mann, J. (2007): The China Fantasy. How Our Leaders Explain Away Chinese Repression, New York, S. 51 f. Aktuelle Zahlen und weitere Hinweise finden sich u.a. in folgendem Überblicksartikel: Beckert, N. (2022): Soziale Ungleichheit in China: Die Reichen werden reicher, die Armen bleiben perspektivlos, in: Zeit-online v. 13.02.2022.

[8]    Pars pro toto bringt folgendes Zitat des von 2001 bis 2009 amtierenden US-Präsidenten George W. Bush die Erwartungshaltung zum Ausdruck: „As China reforms its economy, its leaders are finding that once the door to freedom is opened even a crack, it cannot be closed. […] As the people of China grow in prosperity, their demands for political freedom will grow as well“ (Baker, P. / Faiola, A. [2005]: Bush Pushes China on Freedoms, in: The Washington Post v. 16.11.2005).

[9]    Mann: The China Fantasy, S. 110.

[10]   Münkler, H. (2023): „China hat sich nie europäisiert“. Ein Interview von M. Hesse, in: Frankfurter Rundschau, 79. Jg., Nr. 296 v. 20.12.2023, S. 26-27, hier: S. 27.

[11]   Vgl. Eurostat (2023): EU trade with Russia – latest developments, Figure 4: Russia’s share in EU imports for selected products.

[12]   Steinmeier, F.-W. (2022): „Das tut weh“. Spiegel-Gespräch mit dem Bundespräsidenten, in: Der Spiegel, Nr. 15 v. 09.04.2022, S. 22-25, hier: S. 24 f.

[13]   Zu den Gründen vgl. Edenhofer, O. / Edenhofer, J. / Kalkuhl M. / Kilimann C. (2023): Chancen der Klimapolitik in Zeiten geopolitischer Spannungen, in: Amosinternational, 17. Jg. (2023) H. 4.

[14]   Yellen, J. (2022): Transcript: US Treasury Secretary Janet Yellen on the next steps for Russia sanctions and ‘friend-shoring’ supply chains. Rede vor dem Atlantic Council am 13.04.2022.

[15]   Pompeo, M. (2023): USA gegen China: „Wir dürfen nicht abhängig sein“. Interview von J. Heißler, in: WirtschaftsWoche v. 11.07.2023.

[16]   Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) / Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) / Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) / Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) (Hg.) (2023): Friedensgutachten 2023, Bielefeld, S. 117.

[17]   Buchwald, E. (2023): Yellen on US-China trade: ‘Decoupling would be a big mistake’, auf: CNN v. 13.06.2023. Ursula von der Leyen hatte in ihrer Rede zu den Beziehungen zwischen der EU und China am 30.03.2023 ebenfalls diese Worte gewählt.

[18]   Kant, I. (1795–96/1970): Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, in: Ders.: Werke in sechs Bänden. Band VI: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Darmstadt, S. 191-251, hier: S. 226.

[19]   Scherrer, C. (2022): Krieg als Folge des Konkurrenzprinzips?, auf: Makronom.de v. 06.10.2022.

[20]   Dieser liegen u. a. zwei Prinzipien zugrunde: die Erzeugung eines größtmöglichen Outputs bei festgelegtem Input (Maximalprinzip) und die Generierung eines bestimmten Outputs zu immer geringeren Kosten (Minimalprinzip).

[21]   Scherrer: Krieg als Folge.

[22]   Vgl. Farrell, H. / Newman, A. L. (2019): Weaponized Interdependence. How Global Economic Networks Shape State Coercion, in: International Security Vol. 44 (No. 1), S. 42-79, hier: S. 53.

[23]   Vgl. Segal, A. (2021): Huawei, 5G, and Weaponized Interdependence, in: Drezner, D. W. / Farrell, H. / Newman, A. L. (Hg.): The Uses and Abuses of Weaponized Interdependence, Washington, D.C., S. 149-165.

[24]   Blackwill, R. D. / Harris, J. M. (2016): War by Other Means: Geoeconomics and Statecraft, Cambridge/Mass.

[25]   Vgl. Yalçin, E. (2023): Die ökonomischen Effekte von Sanktionen – Schlagkraft, Zielerreichung, Nebeneffekte, in: Wirtschaftsdienst, 2023, 103 (13), S. 15-22, hier: S. 19; Felbermayr, G. (2023): Krieg mit anderen Mitteln, in: Wirtschaftsdienst, 2023, 103 (13), S. 5-14, hier: S. 13.

[26]   Deitelhoff, N. (2022): Zurück auf Null. Putins Krieg und die Europäische Sicherheitsordnung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 6/2022, S. 69-76, hier: S. 75.

[27]   Ich kann an dieser Stelle nur in aller Kürze auf die drei Ethikstränge eingehen; vgl. ausführlich Emunds, B. (2014): Politische Wirtschaftsethik globaler Finanzmärkte, Wiesbaden, S. 128-133 und S. 152-155; Reuter, H.-R. (2015): Grundlagen und Methoden der Ethik, in: Huber, W. / Meireis, T. / Reuter, H.-R. (Hg.): Handbuch der Evangelischen Ethik, München, S. 24-44.

[28]   Vgl. Löschke, J. (2018): Universeller Zugang zur Sozialversicherung – einige ethische Überlegungen, in: Sozialer Fortschritt 67 (H. 1), S. 3-23, hier: S. 14.

[29]   Bei deutschen Politiker:innen zählt die Rede von „gemeinsam geteilten Werten“ und „Wertepartnern“ auch zum gängigen Vokabular. Während ihrer Südamerikareise unterstrich Außenministerin Annalena Baerbock in einer geoökonomischen Grundsatzrede in São Paulo die „globale Partnerschaft“ zwischen den Ländern als „gemeinsames Interesse“, das „auf unseren gemeinsamen Werten [basiert].“ Am Ende ihrer Rede ging sie auf „[e]ine Zukunft“ ein, „in der jede und jeder Einzelne von uns sagen kann: Ich bin meine eigene Herrin“ (Baerbock, A. [2023]: Rede der beim Digital Democracy Festival der Fundação Getulio Vargas in São Paulo [06.06.2023]). Bei der Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) am 14. Juni 2023 sagte Finanzminister Christian Lindner: „Die USA sind ein Wertepartner, China ist ein Handelspartner, aber Werterivale“ (Lindner, Christian [2023]: Mitschrift der Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz, Bundesministerin Baerbock, Bundesminister Lindner, Bundesminister Pistorius und Bundesministerin Faeser zur Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie in Berlin [14.06.2023]). Die sozialethische Analyse wichtiger Redebeiträge führender westlicher Politiker:innen zu gemeinsam geteilten Werten und sog. Wertepartnerschaften, die deren normative Hintergrundannahmen herausarbeitet, wäre ein Forschungsprojekt, das dringend angegangen werden müsste.

[30]   Wichtige Impulsgeber:innen waren u. v. a. Thomas Pogge und Iris M. Young.

[31]   Anwander, N. / Bleisch, B. (2007): Beitragen und Profitieren. Ungerechte Weltordnung und individuelle Verstrickung, in: Bleisch, B. / Schaber, P. (Hg.): Weltarmut und Ethik, Paderborn, S. 171-194, hier: S. 193.

[32]   Vgl. Große Kracht, H.-J. (2021): Soziale Tatsache, Grundwert oder Tugend? Zur Begriffsgeschichte der Solidarität im 19. und 20. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte, 60. Band (2020), Bonn, S. 29-49.

Der Verfasser

Dr. Jonas Hagedorn ist Jun.-Professor für Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.